09.07.2024 - Matthias Haft -5 MinutenArbeitswelt gestalten
Eine Personalarbeit, die sich an den Lebensphasen Berufstätiger orientiert, muss Arbeitnehmende als Individuen in den Blick nehmen. Wieso das Mitarbeitendengespräch dafür zentral ist, erläutert der Experte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt Jörg Reiner im Interview.
Früher war alles – anders. Das traditionelle Rollenverständnis war üblicher und sorgte dafür, dass sich arbeitende Väter nicht wirklich Gedanken machen brauchten über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Haushalt und Kindererziehung erledigte die Frau, der Mann war voll berufstätig. Heute haben wir eine andere Situation. Eine traditionellere Rollenverteilung gibt es hier und da zwar immer noch, meist sind jedoch beide Elternteile berufstätig. Seit 1991 ist die Erwerbstätigenquote von Frauen von 57 Prozent auf zuletzt 73,6 Prozent gestiegen, während auch die der Männer leicht auf fast 81 Prozent zugelegt hat. Auch wenn Teilzeit am Arbeitsmarkt einen größeren Stellenwert eingenommen hat, arbeiten Paare zusammen heute so viel wie nie zuvor.
Diese Zahlen legen nahe: Die Frage, wie Familie und Beruf vereinbart werden können, wird von Jahr zu Jahr für immer mehr Menschen relevant. Personalabteilungen in Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung deshalb seit langem mit allerlei Instrumenten. Und sie tun gut daran. Denn eine aktuelle repräsentative Studie im Auftrag des Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt die Dringlichkeit, die Vereinbarkeit heute für Familien darstellt: Demnach können sich vier von zehn Beschäftigten vorstellen, „den Arbeitgeber zu wechseln, weil familiäre Belange zu wenig berücksichtigt werden.“
Flexibilität: der Grundstein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Viele Arbeitgeber machen sich das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie jedoch unnötig komplex. Personalabteilungen tüfteln an vielen verschiedenen Instrumenten, während Arbeitgeber nötige Investitionskosten scheuen. Wenn am Ende doch etwas umgesetzt wird, bleibt die Nutzung der Angebote auch noch hinter den Erwartungen zurück. Das sorgt für Frust im Unternehmen. Dabei kann die Grundlage für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bereits geschaffen werden, indem mehr zeitliche und örtliche Flexibilität hergestellt wird: Arbeitszeitmodelle mit Teilzeit, die unkomplizierte Möglichkeit zum Homeoffice, familienfreundliche Schichtsysteme, Arbeitszeitkonten. Hier sollten Unternehmen als erstes ran. Es muss nicht immer gleich der Betriebskindergarten sein. Auch das kam in der Studie des Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ heraus.
Dass vor allem Instrumente zur Flexibilisierung zentral für Arbeitnehmende sind, hat einen einfachen Grund: Sie sind universell einsetzbar. So hilft ein flexibles Arbeitszeitangebot sowohl der Kollegin, die sich alleinerziehend um ihr Kind kümmert, als auch dem Kollegen, der seine Mutter pflegt. Manche Personalinstrumente wirken dagegen sehr punktuell und situationsgebunden, und sie scheitern spätestens dann, wenn sie auf nicht ganz so typische Biografien treffen. Oder welches Instrument wäre das richtige für den verwitweten Kollegen, der sich um sein Kind und pflegebedürftige Eltern kümmern muss, aber dennoch seine Karriere weiterverfolgen möchte? Auf derlei Individualität kann effizient nur mit maximaler Flexibilität reagiert werden.
Im Interview: Jörg Reiner über lebensphasenorientierte Personalarbeit
Jörg Reiner ist Berater im Kompetenzzentrum „Chancengleichheit am Arbeitsmarkt“ der Bundesagentur für Arbeit. Als Experte für Gleichstellungsthemen kennt er die Schwierigkeiten, mit denen Arbeitnehmende im Laufe eines Berufslebens konfrontiert sein können. Faktor A hat mit ihm über lebensphasenorientierte Personalentwicklung gesprochen und nachgefragt, was Unternehmen hierfür tun können.
Faktor A: Wieso ist eine lebensphasenorientierte Personalpolitik wichtig für Unternehmen?
Jörg Reiner: Weil sie Unternehmen dabei hilft, neue Mitarbeitende zu gewinnen und die bisherigen zu halten. Heute können sich Hilfs-, Arbeits- und Fachkräfte sehr schnell wegbewerben und ihr Glück bei einem anderen Arbeitgeber suchen, wenn ihnen die Bedingungen nicht passen. Das birgt auch unternehmerische Risiken, denn mit jedem Weggang wandern Knowhow und Fähigkeiten ab, und eingespielte Prozesse geraten ins Stocken.
FA: Mit welchen Instrumenten kann eine solche Personalpolitik arbeiten?
JR: Das lässt sich nicht wirklich pauschalisieren. Ein Beispiel: In einer Region, in der Kitaplätze Mangelware sind, kann ein Betriebskindergarten ein sinnvolles Angebot für Eltern sein. Woanders sind freie Kitaplätze vielleicht gar kein Thema, der Bedarf für eine Betriebskita besteht dort gar nicht. Im Grunde spielen hier erstmal nur zwei Dinge eine Rolle: Welchen Bedarf hat der oder die Arbeitnehmende? Und welchen hat das Unternehmen? Und wie das Beispiel zeigt, können diese Bedarfe auch von den Gegebenheiten vor Ort abhängen. Das alles gilt es herauszuarbeiten. In vielen Unternehmen gibt es große Konzepte dazu, wie eine Personalarbeit, die sich an den Lebensphasen der Menschen orientiert, aussehen soll. Aber oftmals scheitern diese an der konkreten Umsetzung. Sie werden nicht gelebt, etwa weil die Führungskraft bestimmte Instrumente der Personalarbeit gar nicht kennt oder weil der oder die Mitarbeitende ein wichtiges Lebensthema gar nicht zur Sprache bringt.
FA: Es gibt also kein Instrument, das fest zur lebensphasenorientierten Personalarbeit dazugehört?
JR: Ein Instrument kann man schon nennen, und das ist das Mitarbeitendengespräch. Denn es bietet den geeigneten Rahmen dafür, Themen der individuellen Lebensplanung zu besprechen. Und hieraus können dann gemeinsam Schlüsse darüber gezogen werden, was die jeweilige Lebensplanung für die Arbeitszeit, das notwendige Entgelt und die weitere Karriereplanung bedeutet. All das hilft nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch dem Unternehmen, das auf diese Weise eine bessere Personalplanung vornehmen kann. Und ganz nebenbei wird so Vertrauen auf beiden Seiten geschaffen. Wenn sich Mitarbeitende und Führungskräfte mit Offenheit und Empathie begegnen, ist das die beste Grundlage, um Familie und Beruf vereinbaren zu können.
FA: Vor welchen Herausforderungen stehen kleine Unternehmen, wenn sie ihre Personalarbeit an den Lebensphasen ausrichten möchten?
JR: In kleinen Betrieben herrschen oft sehr eingespielte, gewissermaßen selbstverständliche Prozesse. Und weil sie so selbstverständlich sind, werden sie selten hinterfragt. Würde man sie aber hinterfragen, würde man vielleicht entdecken, dass eine Anpassung des Prozesses für Mitarbeitende den Vorteil hätte, dass sie Privates besser mit dem Job verbinden können. Mal ein Beispiel: Für einen Malerbetrieb ist es bisher einfach selbstverständlich gewesen, auf der Baustelle stets volle Tage zu arbeiten. Niemand, weder der Betrieb selbst, noch seine Kunden, hat bisher in halben Tagen gedacht oder geplant. Aber womöglich ist eine Geschäftspolitik, die auch halbe Tage auf Baustellen vorsieht, genau die Flexibilität, die die Mitarbeitenden des Malerbetriebs benötigen. So ein Umdenken braucht natürlich auch Mut und Offenheit, denn kleine Betriebe sind abhängig von den Kunden in ihrer Region.
FA: Und wie sieht es bei den großen Unternehmen aus?
JR: Große Unternehmen denken natürlich auch in größeren Dimensionen. Ein personalpolitisches Konzept ist dann meist Teil der allgemeinen Unternehmensphilosophie. Damit natürlich auch Teil der Unternehmenskultur. Und das muss eben zusammenpassen.