Der Rockstar aus der Provinz

Fachkräftemangel in der Provinz? Nicht bei Versand-Händler Thomann, wo sich die Bewerbungen stapeln. Warum bloß?


18.08.2015 - Michael Prellberg -4 MinutenArbeitswelt gestalten

Fachkräftemangel in der Provinz? Nicht bei Versand-Händler Thomann. Hunderte Mitarbeiter pendeln aus Nürnberg, Bamberg oder Würzburg in ein fränkisches Dorf – und bei Thomann stapeln sich die Bewerbungen auf den Schreibtischen. Wie schaffen die das?

Erfolg kann zum Problem werden. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen 200 neue Mitarbeiter sucht, allerdings für Treppendorf. Mit T wie Taiga. Kaum mehr als 100 Menschen wohnen hier im Steigerwald, der nächstgrößere Ort ist Burgebrach. Die Region konkurriert mit den Städten Bamberg, Nürnberg oder Würzburg, die halbwegs in der Nähe liegen, gute Jobs bieten und urbanes Leben obendrauf.

„Trotzdem kriegen wir jedes Jahr rund 2.000 Bewerbungen“, sagt Ralf Döring und erlaubt sich ein Schmunzeln. Der Personalleiter hatte reichlich Auswahl für die 200 neuen Stellen. „Unsere Mitarbeiter pendeln aus Bamberg, aus Würzburg und sogar aus Nürnberg und Fürth“, sagt Döring. „Sie nehmen eine Stunde Fahrzeit in Kauf – wenn sie nur für uns arbeiten dürfen.“

Von Bewerberstapeln auf ihren Tischen können die meisten Unternehmen jenseits der großen Städte nur träumen. Mittelständler suchen zunehmend verzweifelt nach Fachkräften, um offene Stellen zu besetzen – doch die zieht es meist in die großen Städte.

Kunden treffen nur auf Musiker

Für die magnetische Strahlkraft dieses fränkischen Dorfs verantwortlich ist ein einziger Mann: Hans Thomann. Er hat das Ladengeschäft seines Vaters in Deutschlands größten Online-Handel für Musiker verwandelt. Amazon spielt nur die zweite Geige. Fast 80.000 Artikel hat Thomann vorrätig – in Lagern, die Treppendorf längst umwuchern. Mittendrin steht immer noch das Ladengeschäft. 150 Mitarbeiter kümmern sich um die Kunden, die persönlich vorbeischauen, und stehen für Anrufer bereit. „Jeder Mitarbeiter mit Kundenkontakt ist Musiker. Punkt“, sagt Thomann. „Sonst funktioniert das nicht. Der Kunde muss zufrieden sein.“

Dann kommt er nämlich wieder – als Kunde sowieso und gelegentlich als Mitarbeiter. Personalleiter Döring hat die Worte „langjähriger begeisterter Kunde“ schon in etlichen Bewerbungen gelesen. „Das ist eine gute Basis“, sagt er. Mehr aber auch nicht. Daher betont Döring bei Vorstellungsgesprächen, worum es bei Thomann geht: um Tempo, um Menge und um die Performance gegenüber den Kunden.

Mann mit Gitarre
© Michael Hudler - Geht bei Thomann: Das Hobby zum Beruf machen.

Es gilt, weit mehr als sechs Millionen Kunden zu versorgen. Was der Online-Shop mit drei grünen Balken als verfügbar anzeigt, wird innerhalb einer halben Stunde nach Bestellung auf den Weg zum Kunden geschickt. 60 Prozent davon leben im Ausland. In zwei Schichten wird von der Annahme bis zum Versand gearbeitet, um die Bestellungen abzuarbeiten. Dieses Jahr überspringt der Umsatz von Thomann voraussichtlich die 600-Millionen-Euro-Marke, das Unternehmen wächst seit Jahren zweistellig.

Service geht auch online

Zu jedem Produkt werden Fotos – gelegentlich auch Videos – gestellt. Und damit jeder Kunde vorab hören kann, wie sein Instrument klingt, gibt es Soundbeispiele. „Einen guten Preis können viele machen – aber bei uns kommt der Service dazu.“ Vor und nach dem Kauf: 160 Mitarbeiter arbeiten im Servicebereich. Jedes Instrument, das wegen Reklamationen oder Nichtgefallen zurückkommt, wird von Instrumentenbaumeistern geprüft und gegebenenfalls repariert.

1990 war es, als Hans Thomann das Musikhaus von seinem Vater übernahm, da hatte er 15 Mitarbeiter. Heute sind es 1140, und trotzdem versucht der Chef, nahbar und zugänglich zu bleiben. Thomann duzt und will geduzt werden. Die Tür zu seinem Büro steht meist offen. Und er lebt vor, was er seinen Führungskräften empfiehlt: „Ein Drittel der Arbeitszeit raus aus dem Büro, sonst kriegen wir doch nicht mit, was los ist.“

Wer bei Thomann sein Hobby zum Beruf machen will, muss über die Liebe zur Musik hinaus fachliche Fähigkeiten mitbringen. Daher ist es trotz der Bewerberstapel nicht immer einfach, Stellen zu besetzen. „Jemanden zu finden, der sich mit Classic Drums auskennt, dafür haben wir ein Jahr gebraucht“, sagt Personalchef Döring.

Fragebogen

Hans Thomann über…

Mitarbeiter
Sie sind mit ihrem Know-how der wichtigste Schlüssel in unserem Business.

Verantwortung
Eine hohe Verantwortung haben wir in erster Linie gegenüber unseren Kunden als verlässlicher Partner. Aber auch gegenüber unseren Mitarbeitern, der Umwelt und nicht zuletzt der Region.

Online-Handel
Ist schnell, spannend, komplex und bietet fast unbegrenzte Möglichkeiten.

Die Region Franken
Unsere Region ist bodenständig und erfolgreich aufgrund ihrer fleißigen Mitarbeiter. Eine Genussregion, in der es sich gut leben lässt.

Der Draht zur Agentur für Arbeit

Leichter fällt die Suche bei den Kollegen, die nichts mit Musik zu tun haben: den Lager- und Logistik-Mitarbeitern. Die kommen meist aus den Dörfern der Gegend. „Wir zahlen deutlich über Mindestlohn.“ Dazu kommen ein 13. Monatsgehalt, vermögenswirksame Leistungen und häufig ein unbefristeter Vertrag. „Wir stellen auch Zeitarbeiter ein und nutzen diese Zeit, um zu sehen, wie die Leute anpacken“, erklärt Döring. „Wer sich gut macht, wird übernommen.“ Hier hat sich der gute Draht zur Bundesagentur für Arbeit bewährt, mit der ein wöchentlicher Abgleich der Jobangebote stattfindet. Döring: „So sind unsere offenen Stellen auf der Seite der Agentur für Arbeit immer aktuell und über Suchmaschinen leicht auffindbar.“ Denn trommeln muss auch Thomann, um Gehör zu finden. Der Händler ist beispielsweise auf Facebook sehr aktiv. Und das klappt so gut, dass der Online-Händler die eigene Homepage als Job-Börse zwischenzeitlich ein wenig vernachlässigt hat.

Ein Fehler, dachten sich die Programmierer. Neuerdings schiebt sich der „Star Wars“-Todesstern oben auf die Homepage, gefolgt von der Aufforderung: „Keine Lust mehr aufs Imperium? Jetzt kündigen und bei uns bewerben.“ Thomann sucht nämlich weiter: Rund weitere 30 Stellen gilt es in den nächsten Monaten zu besetzen. In Treppendorf im Steigerwald. „Keine Bange“, sagt Personalleiter Döring: „Wir werden schon fündig werden.“


Titelfoto: © Michael Hudler