25.09.2019 - Annette Vorpahl -8 MinutenMitarbeiter finden
Eine Bewerbung mit 50 plus ist wie Lotto spielen: Manchmal hat man Glück – meist aber nicht. Ist das Begehren deshalb völlig chancenlos? Und wie sehen Sie die Leistung und Motivation älterer Beschäftigter eigentlich?
Nach zwölf Jahren war Schluss. Firmenwagen, Sekretärin, Visitenkarte – das alles gehörte von heute auf morgen der Vergangenheit an. Zwölf Jahre lang hatte Markus K. die Auslandsabteilung eines Ingenieurbüros im Süden Münchens geleitet. Er hatte sich hochgearbeitet vom gelernten Wasserbauingenieur zum Vertriebsleiter Ausland für Bauprojekte weltweit. Als in der Firma 2014 die Geschäftsführung wechselte, legte diese den Fokus aufs Inlandsgeschäft. Markus K. musste seinen Hut nehmen. Nach etwa einem halben Jahr war die Abfindung aufgebraucht, und der damals 51-Jährige erhielt 18 Monate lang Arbeitslosengeld. Danach entschied er sich für eine Selbstständigkeit. Seit rund einem Jahr sucht der mittlerweile 55-Jährige eine neue Herausforderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Bislang vergeblich.
Auch wenn so mancher ab 50 in Richtung Rente schielt: Eine Frührente können sich nur die wenigsten leisten, und außerdem wird ihre Tatkraft gebraucht. Doch dort, wo sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen könnten, da will sie niemand haben: am Arbeitsplatz. „Zwei von fünf Betrieben beschäftigen gar keinen Mitarbeiter mehr, der mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat. Jedes siebte Unternehmen hierzulande gibt in Umfragen offen zu, grundsätzlich keine Älteren einzustellen“, schreibt der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) auf seiner Homepage. Neben der Qualifikation, der Branche und dem Geschlecht sei häufig das Alter an sich Grund für die Absage.
Chancen Älterer für eine Neuanstellung
Die jüngste vom Bundesarbeitsministerium bzw. Statistischen Bundesamt gemeldete Erwerbstätigenquote der 55- bis 65-Jährigen ist von gut 51 Prozent 2007 auf rund 70 Prozent 2017 gestiegen. „Darin sind auch Selbstständige, Mini-Jobber oder Beamte enthalten“, sagt Ralf Beckmann, Arbeitsmarktexperte bei der Bundesagentur für Arbeit. Er führt die gestiegene Erwerbsbeteiligung zum einen auf die positive Arbeitsmarktentwicklung und den hohen Fachkräftebedarf zurück. Zum anderen wirke sich die Rente mit 67 in Richtung einer längeren Lebensarbeitszeit aus. Die Zahl der Personen in Altersrente zwischen 60 und 64 Jahren habe sich in den letzten Jahren fast halbiert. „Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer sind sehr stabil, das Entlassungsrisiko sehr gering. Dagegen sind – trotz der guten Entwicklung – die Chancen Älterer, neu eingestellt zu werden, nach wie vor deutlich schlechter als bei jüngeren Altersgruppen.“
Vor allem die Qualifikation, Branchenzugehörigkeit, Berufsgruppe sowie Beschäftigungs- und Krankheitszeiten entscheiden über die Wahrscheinlichkeit, wieder beschäftigt zu sein. Je mehr Zeit man in Arbeitslosigkeit verbringt, desto schwieriger ist es, eine neue Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden: Häufige Gründe sind, dass keine Berufserfahrung und kein berufs- und betriebsspezifisches Wissen erworben werden. Umgekehrt zahlen eine längere Berufserfahrung, ein guter Gesundheitszustand und die Aussicht auf eine geringe Einarbeitungszeit auf die Einstellungschancen Älterer ein – am besten aus einem noch bestehenden Arbeitsverhältnis.
Vorurteile gegenüber älteren Bewerbern abbauen
Das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) befragte Ende 2016 Vermittlungsfachkräfte in den Agenturen für Arbeit nach den besonderen Schwierigkeiten, die Menschen ab 55 Jahren bei der Arbeitssuche haben. An erster Stelle wurden gesundheitliche Einschränkungen genannt, gefolgt von zu geringen/fehlenden EDV-Kenntnissen. An dritter Stelle landeten die Vorbehalte jeglicher Art von Unternehmen gegenüber Älteren. Weniger leistungsstark, weniger motiviert, häufiger krank, zu teuer, weniger kreativ, meist ortsgebunden und unflexibel, lauten häufige Vorurteile. Bei gleicher Qualifikation werden bevorzugt Jüngere eingestellt. Statt 15 und weniger haben diese zwar 30 und mehr Jahre vor sich. Doch verbringen sie diese ungern am selben Ort, ziehen manchmal sogar ohne konkrete Jobperspektive weiter. 48 Prozent der befragten Vermittler sprechen sich für eine Beratung von Unternehmen aus, um die nachgewiesenen Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern und Bewerbern abzubauen.
Viele Mittelständler ächzen unter dem Fachkräftemangel. Laut KfW-Mittelstandspanel sind derzeit 1,21 Millionen Stellen offen. Knapp zwei Drittel der einstellenden KMU rechnen kurzfristig mit Rekrutierungsproblemen, also damit, dass Stellen nur mit Abstrichen, verzögert oder überhaupt nicht besetzt werden können. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) rät, dass sich insbesondere die Betriebe weiterhin aktiv und noch intensiver mit dem Thema ältere Beschäftigte auseinandersetzen. Sie sollten dabei vor allem der Frage nachgehen, „welche Vorstellungen vom Alter, Altern und von Älteren im eigenen Unternehmen existieren. Denn diese Vorstellungen – das hat ein INQA-Projekt gezeigt – entscheiden oft über den Erfolg oder Misserfolg einer alter(n)sgerechten Personalpolitik.“
Kein Zusammenhang zwischen Produktivität und Alter
Das IAB ermittelte, dass diejenigen, die nach eigenen Angaben Ältere ab 50 plus einstellten, sich zu mehr als 90 Prozent positiv äußerten. Mitarbeitende 50 plus seien „motiviert“, „an einer längerfristigen Beschäftigung interessiert“, „sorgfältig“, „ins Team integriert“, und sie hätten „ihre Erfahrungen eingebracht“. Nur bei 14 Prozent der neu eingestellten Älteren berichteten die Betriebe von „häufigeren Fehlzeiten“.
Hartnäckig hält sich der Irrglaube, dass Produktivität und Alter in einem Zusammenhang stehen – obwohl Wissenschaftler hundertfach das Gegenteil bewiesen haben. Produktivität kann allgemein als Funktion von körperlichen und kognitiven Fähigkeiten sowie Erfahrung in bestimmten Kontexten definiert werden. Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik untersuchte 2018 die Arbeitsleistung von Jung und Alt in einem Lkw-Montagewerk anhand der Anzahl an Fehlern und der Schwere dieser Fehler. Bei einem Finanzdienstleister ermittelten die Forscher die Arbeitsleistung anhand der Anzahl ausgeführter Vorgänge innerhalb jedes Arbeitsteams.