Die Macher von morgen

Immer mehr Unternehmer setzen bei der Fachkräftesuche auf Flüchtlinge. Mit Erfolg - wenn beide Seiten wollen.


19.04.2016 - Jochen Brenner -5 MinutenMitarbeiter finden

Immer mehr Unternehmer setzen bei der Fachkräftesuche auf Flüchtlinge. Mit Erfolg - wenn beide Seiten wollen.

Links warten Jobs, rechts die Flüchtlinge. So sieht Gerold Brunken die Industriestraße, die ins Gewerbegebiet von Fürstenwalde führt. Angebot und Nachfrage auf engstem Raum. Links die Reuther STC GmbH, rechts die Sammelunterkunft. Müsste man da die Straße nicht einfach mal überqueren?

Brunken ist Personalchef der Reuther STC, einem Mittelständler mit über 300 Mitarbeitern, der im Jahr 150 Stahlrohrtürme für Windkraftanlagen in ganz Nordeuropa herstellt. Die Auftragsbücher sind voll, die Windkraft boomt. Nur mit dem Nachwuchs will es bei Reuther STC nicht so richtig klappen. „Ich kriege kaum Bewerbungen auf den Tisch und die Qualität stimmt nur bei den wenigsten“, sagt Brunken. Anlagenmechaniker sucht er vor allem, der Job ist unpopulär – und der Teil Brandenburgs zwischen Berlin und Polen nicht gerade das Azubi-Paradies.

Vor einem guten Jahr hat Brunken die Industriestraße zum ersten Mal überquert. Er wollte nicht mehr auf die ideale Bewerbung warten. Er wollte Leute, die auch wollen. Die eine Chance suchen. Die sich in Fürstenwalde eine Zukunft vorstellen können.

14 Männer holte Brunken von der rechten auf die linke Straßenseite, prüfte die Deutschkenntnisse der Flüchtlinge, ihre beruflichen Erfahrungen und ihre Motivation. „Mir kommt es auf die richtige Einstellung an“, sagt er, „wo die Männer herkommen, ist eigentlich zweitrangig.“ Vier von ihnen arbeiten inzwischen festangestellt als Schweißer oder Produktionshelfer bei der Reuther STC.

Ausbildung bei Reuther STC ab Herbst

Und Brunken? Kennt jetzt den Weg über die Straße. Also geht er ihn auch. Die nächsten vier Flüchtlinge machen gerade ein halbjähriges Praktikum bei ihm, gefördert als Einstiegsqualifizierung von der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ab Herbst beginnen sie die dreieinhalbjährige Ausbildung zum Anlagenmechaniker. Cellestino aus Kamerun, Arfan aus Pakistan, Bernard aus Kenia und Ben, ebenfalls aus Kenia. „Tolle Jungs“, sagt Brunken. „Die haben Lust auf den Job.“

Arbeitskräfte wie Cellestino, Ben, Arfa und Bernard sind eine Chance für die wachsende Zahl von Unternehmen in Deutschland, die dringend auf der Suche nach Fachkräften sind. Der demografische Wandel und die zunehmende Beschäftigung machen die Suche nach neuem Personal immer schwieriger. Viele Unternehmen müssen deshalb immer neue Strategien bei der Rekrutierung von Arbeitskräften und Auszubildenden entwickeln. Auf Flüchtlinge zu setzen ist dabei eine vielversprechende Maßnahme.

Es wäre falsch, die Augen vor den Herausforderungen zu verschließen, die mit der Rekrutierung geflüchteter Menschen einhergehen. Sprachkurse kosten Zeit und Geld, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse kann dauern und kulturelle Unterschiede fordern Verständnis auf beiden Seiten. Doch wer als Unternehmer geflüchtete Menschen einstellt, trifft auf überwiegend hoch motivierte Menschen, die sich bei uns ein neues Leben aufbauen und sich meist schnell in die Gesellschaft integrieren möchten. Im besten Fall bringen sie berufliche Erfahrungen und neue Sichtweisen aus ihrer Heimat ein und können das Unternehmen dabei unterstützen, sich auf internationalen Märkten besser aufzustellen. Nicht zuletzt erweitern sie die kulturelle Vielfalt in Unternehmen und fördern mit ihrer Anwesenheit die interkulturelle Kompetenz der Belegschaft.

Flüchtling vor Stahlrohr
© Dawin Meckel - Motivierte Flüchtlinge: eine Chance für die deutsche Wirtschaft bei der Fachkräftesuche

Ein Job für die Syrerin Nancy

Beispiel Opel: Petra Krink hat in der jungen Syrerin Nancy Aho eine Freundin gefunden, deren Schicksal sie für das Flüchtlingsthema sensibilisiert hat. Krink arbeitet als IT-Expertin bei Opel und begleitet Nancy Aho als Mentorin auf der Suche nach einem geeigneten Job. „Wir waren schon gemeinsam beim Job-Center. Nancy hat so schnell sehr gut Deutsch gelernt. Wäre doch gelacht, wenn wir jetzt nichts Passendes für sie finden würden“, sagt sie. „Mit Petra fühle ich mich bei offiziellen Terminen einfach sicherer. Sie ist ein Schatz, den ich am liebsten nicht mehr hergeben würde“, sagt Nancy Aho.

Opel beweist damit, dass es oft nur eines ersten Anstoßes bedarf, damit Integration gelingen kann. Man muss dafür kein Weltkonzern mit Zehntausenden von Beschäftigten sein. Meist genügt es, den eigenen Personalbedarf mit der Bereitschaft zu verbinden, im Sinne der Integration auch mal eine kleine Extrarunde zu gehen – wie der Zahntechniker Frank Rübeling aus Bremerhaven.

Als ihn der 25-jährige Syrer Mohammad Hammami um ein Praktikum in seinem Labor mit fast 100 Mitarbeitern bat, sagte Rübeling einfach mal Ja – wenn auch sonst nicht viele Worte gewechselt wurden: Hammami sprach damals noch kaum ein Wort Deutsch. „Ich habe sofort gemerkt, dass Mohammad Lust auf den Job hat. Er war zugänglich, wirkte sehr gepflegt und sympathisch. Zudem hatte er in Syrien bereits eine Ausbildung als Zahntechniker abgeschlossen“, sagt Rübeling. Inzwischen sind aus den zwei Wochen sechs Monate Praktikum geworden, die die BA über die Einstiegsqualifizierung fördert. „Wenn Mohammads Deutsch noch besser wird, kann ich mir vorstellen, ihn danach einzustellen“, sagt der Firmenchef. „Junge Leute, die Feuer und Flamme für den Job sind, finde ich hier in der Region nicht jeden Tag.“

Flüchtlingen eine Chance geben

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Titelfoto: © Dawin Meckel