14.10.2020 - Gunthild Kupitz -8 MinutenMitarbeiter finden
Die linke Hand von Florian Post ist nur in Ansätzen ausgebildet. Das hinderte ihn nicht daran, Karriere zu machen: Post stieg vom Praktikanten zum Inhaber eines Handwerksbetriebs auf. Als er später einen Autisten einstellte, äußerten Mitarbeiter Bedenken. Er sei zu langsam, befanden sie. Doch inzwischen sind sie von ihrem Kollegen genauso beeindruckt wie Post.
Ein dreistöckiger Zweckbau im Gewerbegebiet von Dresden-Gohlis. Zu DDR-Zeiten war hier ein reiner Bürokomplex untergebracht. Seit den 1990er-Jahren aber werden im Erdgeschoss Bohrer- und Fräswerkzeuge individuell für die Zulieferer der Automobil- und Flugzeugindustrie gefertigt. Es ist heiß an diesem Mittwoch im Sommer 2020. Durch die Werkstatt wabert feiner Ölgeruch, die Lüftung brummt auf Hochtouren. Seit sechs Uhr früh werden hier Sägeblätter geschliffen und Bohrer nach Kundenvorlagen an computergesteuerten Werkzeugmaschinen hergestellt. Inhaber Florian Post hat an diesem Vormittag zwischen Telefonaten und Büroarbeit an einer CNC-Anlage drei Spezialbohrer für einen Motorradfabrikanten produziert. Jetzt, um 14 Uhr, gegen Ende der Frühschicht, sitzt Post an einem langen Tisch im Pausenraum, vor ihm steht eine Tasse frisch gebrühter Kaffee.
Faktor A: Die Werkzeuge, die in Ihrem Betrieb gefertigt werden, müssen auf den Hundertstelmillimeter passen. Eine ziemlich anspruchsvolle Arbeit. Doch die meisten Ihrer Mitarbeiter kommen aus metallfernen Branchen. Warum ist das kein Problem?
Florian Post: Bei uns gibt es tatsächlich alles – vom Steinmetz bis zum Tischler. Trotzdem beherrschen meine Jungs sämtliche Aufgaben hier, denn sie wurden alle mindestens ein Jahr dafür angelernt, aber vor allem: Sie interessieren sich dafür. Das ist das Allerwichtigste. Und sie besitzen ein räumliches Vorstellungsvermögen. Sie wissen, wie das Werkzeug aussehen soll, das ein Kunde bestellt hat, und haben im Hinterkopf, wofür der das braucht.
Im vergangenen Jahr haben Sie mit Tobias Hähner einen Mitarbeiter eingestellt, der zwar gelernter Zerspanungsmechaniker ist, aber überdies Autist. Weil er eine Behinderung hat so wie Sie?
Auch. Ich habe während meiner Lehrzeit am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wegen einer Behinderung abgelehnt zu werden. Aber ich wusste, was ich kann, und wollte das beweisen. Hätte mir damals niemand eine Chance gegeben, wäre das schwierig geworden. Warum also sollte nicht auch ein Autist die gleiche Chance bekommen wie ich?
Tobias wurde wie Sie am BBW Dresden ausgebildet. Vor vier Jahren hat er dann sein erstes Praktikum in Ihrem Betrieb gemacht. Haben Sie damals Ihre Mitarbeiter auf ihn vorbereitet?
Ein bisschen. Ich habe ihnen gesagt, dass wir dem Jungen wenigstens die Möglichkeit geben müssen, reinzuschnuppern. Wir sind ein offener Betrieb. Die Jungs haben ihn herzlich aufgenommen und immer wieder versucht, ihn miteinzubeziehen. Aber ich gebe zu, anfangs war es nicht einfach. Tobias redet wenig und oft sehr leise. Er isst und trinkt auch nicht vor anderen. Das beeinflusst das Miteinander. Aber wir motivieren ihn, mitzumachen. Häufig arbeiten wir im Team, unterhalten uns über Werkzeug und überlegen gemeinsam, wie wir komplexe Aufgaben umsetzen können. Da ist dann jeder gefragt, auch Tobias.
Und es hatte wirklich keiner Bedenken, als Sie ihn später fest anstellen wollten?
Doch. Der ein oder andere fragte schon nach, ob ich sicher sei, dass wir das machen sollten, weil Tobias ziemlich langsam sei. Um auszugleichen, dass Tobias mehr Zeit braucht, bekommen wir finanzielle Unterstützung von der Agentur für Arbeit. Wir brauchen das auch, denn es wird noch mindestens drei Jahre dauern, bis er durch Routine eine gewisse Schnelligkeit erreicht. Aber schon jetzt haben die Jungs festgestellt, dass er gut reingefunden hat. Wir merken schon Verbesserungen. Es war deshalb die absolut richtige Entscheidung, ihn einzustellen.
Was hat Sie an Tobias überzeugt?
Seine Qualität. Ich erinnere mich noch genau: Ziemlich zu Anfang sollte er Bohrer an einer kleinen CNC-Maschine schleifen. Jeder Praktikant vor ihm hatte den kleinen Ausbruch an der Spitze übersehen, nur Tobias fragte: „Was ist denn mit der Ecke hier oben?“ Bei uns geht es um kleinste Details, und dass er das gesehen hat, hat mich beeindruckt. Deshalb habe ich an ihm festgehalten.
Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit ihm?
Man braucht etwas Fingerspitzengefühl und Zeit, bis man mit ihm warm wird. Er ist ein Typ, der ohne jede Nachfrage alles verstehen möchte. Tobias vermeidet Nachfragen. Deshalb hört er genau zu, denkt über das Gesagte nach und setzt es dann um. Das ist manchmal schwierig, darum unterstützen wir ihn und fragen nach, damit er antworten muss. So holen wir ihn immer wieder ins Boot. Tobias macht seine Arbeit dann aber wirklich super, er ist sehr genau. Das ist ideal bei Werkzeugen. Im Moment braucht er zwar die dreifache Zeit, aber sein Ausschuss liegt nahezu bei null. Ansonsten sind für ihn geregelte Abläufe wichtig. Man kann nicht einfach sagen: „Morgen kommst du um zwölf und übermorgen um drei.“ Aber während der Arbeitszeit probieren wir immer wieder vorsichtig Veränderungen aus.