27.03.2019 - Antonia Kemper -5 MinutenMitarbeiter finden
Helga Schmid ist 55, hat keine abgeschlossene Ausbildung und ein leichtes Handicap. Mit Willenskraft ergattert sie dennoch einen Job, den sonst nur Männer machen.
25 Jahre lang lebte Helga Schmid in Chemnitz, bevor sie vor knapp zwei Jahren wieder in ihre Heimatstadt Nürnberg zog. Die heute 55 Jahre alte Mutter einer erwachsenen Tochter hatte nach ihrem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin begonnen, ohne sie jedoch abzuschließen. Sie arbeitete deshalb als ungelernte Kraft unter anderem im Hochbau und in der Gebäudereinigung. Zwischendurch war sie immer wieder mal arbeitslos und später auch als Ein-Euro-Jobberin im Garten- und Landschaftsbau tätig. Als sie im vergangenen Jahr zum Bewerbertag am Flughafen Nürnberg eingeladen wurde, war Helga Schmid auf der Suche nach einer Stelle als Montiererin.
Das sagt die Arbeitnehmerin
Helga Schmid, 55, arbeitet im Gepäcktransport am Flughafen Nürnberg
„In Chemnitz war es etwas schwierig mit Jobs. Und da meine Geschwister alle in Nürnberg wohnen, bin ich zurückgekehrt. Ich habe hier inzwischen auch schon einiges ausprobiert – unter anderem Sportschuhe verpackt –, aber nichts davon hatte wirklich gepasst. Manchmal auch wegen des Umgangs der Kollegen untereinander. Irgendwann habe ich im Jobcenter nachgefragt, ob der Flughafen vielleicht Personal einstellen würde; ich wollte nämlich gerne einen krisensicheren, abwechslungsreichen Job. Und zufällig hatte meine Sachbearbeiterin gerade etwas reinbekommen.
Am Bewerbertag habe ich dann Herrn Reubel kennengelernt; er ist für den Gepäcktransport verantwortlich. Er hat mich gefragt, ob ich mir eine solche Tätigkeit vorstellen könne. Und das konnte ich. Ich bin ja sowieso eher der handwerkliche Typ: In Chemnitz war ich ein paar Jahre bei einer Straßenbaufirma. Dort bin ich Lkw gefahren, Breitreifenkipper, Bagger, Radlader und auch Pflastermaschinen.
Schon zwei Tage nach dem Gespräch hat Herr Reubel mich angerufen und mich eingeladen, mir den Arbeitsablauf anzuschauen. Er hat mir alles gezeigt und wollte anschließend wissen, ob ich bereit wäre, als einzige Frau unter Männern zu arbeiten. Aber das war ich schon aus Chemnitz gewohnt. Ich wurde von den Kollegen ganz herzlich empfangen, und alle haben mir gleich das Du angeboten. Dass ich aufgrund eines Geburtsfehlers meinen linken Arm nur zu 70 Prozent nutzen kann, hatte Herrn Reubel gar nicht gestört. Ich selbst komme ja auch gut klar damit.
Ich mag meine Arbeit, und ich freue mich jeden Tag darauf. Wenn noch mehr Frauen in das Team kämen, fände ich das schön. Natürlich nur, wenn sie nett sind.“
Das sagt der Chef
Matthias Reubel, 52, Senior Manager Baggage Services/Abteilungsleiter Gepäckservice
Faktor A: Ihre neue Mitarbeiterin Helga Schmid haben Sie bei einem Bewerbertag in Kooperation mit dem Jobcenter kennengelernt. Fiel sie nicht allein schon wegen Ihres Alters und der körperlichen Einschränkung durch das Kandidaten-Raster?
Matthias Reubel: Nein, überhaupt nicht. Sie hat sich sehr für den Job interessiert und wirkte sehr aufgeschlossen. Sie hat von Anfang an signalisiert: „Diese Tätigkeit ist mir nicht zu schwer.“ Dazu kommt, dass ein Quereinstieg im Fachbereich Gepäcksortierung und -transport relativ leicht ist. Letztlich ist es egal, aus welchem Beruf man kommt.
Warum rekrutieren Sie überhaupt potenzielle Kandidaten über einen Bewerbertag?
Es ist für Flughäfen nicht immer einfach, Personal zu gewinnen. Alle Bewerber, die in einem sicherheitsrelevanten Bereich arbeiten, müssen sich einer sogenannten Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen – was bedeutet, dass bei allen Ermittlungsbehörden und den Einwohnermeldeämtern nachgefragt wird. Das Jobcenter nimmt uns viel Arbeit ab, indem es nach passenden Kandidaten sucht, sie kontaktiert und im Vorfeld auch auf die Überprüfung hinweist. Schließlich möchte nicht jeder durchleuchtet werden.
Mit Helga Schmid arbeitet nun die erste Frau in der Gepäcksortierung – zusammen mit 49 Männern. Funktioniert das?
Die Kollegen haben sich gefreut, dass eine Frau in ihre Abteilung gekommen ist, und Frau Schmid fühlt sich nach allem, was sie erzählt, auch wohl und gut integriert. Mir war es wichtig, dass wir für die Tätigkeit eine Frau in das Team holen konnten. Der unter Männern gewohnte Umgangston ist deutlich moderater geworden. Und wenn sich die Möglichkeit bietet, in dem Bereich noch mehr Frauen einzustellen, werde ich das auf jeden Fall tun.
Frau Schmid hat für ihre jetzige Tätigkeit eine dreitägige Schulung absolviert. Wird es für sie die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln?
In ein paar Wochen wird sie eine weitere Ausbildung machen, damit sie die Gepäck- und Frachtschlepper auf dem Vorfeld fahren kann. Und sie wird eine Qualifikation zum Thema Gepäcklogistik am Computer bekommen. Damit steigt auch ihr Gehalt. Die letzten beiden Schritte wären Fachvorgesetzte und Schichtleiterin.
Ihr Alter wäre kein Hinderungsgrund dafür?
Ganz und gar nicht.
Das sagt das Jobcenter
Samir Mix, 30, Arbeitgeber-Ansprechpartner für das Jobcenter Nürnberg
Faktor A: Im vergangenen Jahr haben Sie gemeinsam mit Unternehmen – vom Start-up bis zum Traditionsbetrieb – ein gutes Dutzend Bewerbertage organisiert. Wer profitiert mehr davon: die Unternehmen oder die Arbeitssuchenden?
Samir Mix: Beide gleichermaßen. Für die Unternehmen ist es oft effizient, weil sie an einem Vormittag manchmal gleich mehrere Mitarbeiter finden. Und für unsere Kunden ist es gut, weil selbst diejenigen, die relativ unerfahren mit Bewerbungsgesprächen sind, eine Chance haben.
Wie muss man sich das vorstellen? Wie lief das beim Nürnberger Flughafen ab?
Damals waren zehn Stellen zu besetzen. 17 Kandidaten hatten wir eingeladen, zwölf sind gekommen, drei wurden eingestellt. Herr Reubel hatte eine Powerpoint-Präsentation sowie einen Film über seinen Bereich gezeigt. Anschließend fand eine Art Speed-Dating statt. In diesem Gespräch konnte Frau Schmid offenbar Herrn Reubel überzeugen. Und umgekehrt.
Mit welchen Eigenschaften können Kandidaten an einem Bewerbertag besonders überzeugen?
Wenn sie offen und neugierig sind. So wie Frau Schmid. Dann werden auch Menschen genommen, denen eine wichtige Voraussetzung fehlt. Um beim Flughafenbeispiel zu bleiben: Da wurde sogar jemand eingestellt, obwohl er keinen Führerschein hatte – eigentlich ein Ausschlusskriterium. Aber man war bereit, die zwei Monate auf ihn zu warten, und von unserer Seite gab’s dann auch Unterstützung. Arbeitgeber, die sich darauf einlassen, diese „Rohdiamanten“ ein wenig zu schleifen, erhalten gute Mitarbeiter.