23.05.2023 - Matthias Haft -7 MinutenMitarbeiter finden
In vielen Berufsfeldern ist die Personalsituation angespannt, auch in der Informationstechnik. Arbeitgeber setzen daher auch auf den Quereinstieg. Tech in the City unterstützt dabei mit Informationen und Vernetzung.
Liest man sich durch eine aktuelle Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, Bitkom, erhält man schnell einen Eindruck davon, wie schwierig mittlerweile die personelle Lage auch in der IT in Deutschland ist. Einiges schlägt hier negativ zu Buche: der demographische Wandel zum Beispiel, aber auch bürokratische Hürden bei der Zuwanderung von Fachkräften, und zuletzt hat sogar das Interesse am Informatikstudium leicht nachgelassen. Personalabteilungen, die für IT-Berufe rekrutieren, müssen immer größere Aufwände betreiben, um überhaupt qualifizierte Bewerbungen und letztlich neues Personal zu erhalten.
Umgang mit Personalmangel in der IT
Doch wo ein besonderer Mangel herrscht, wird nach möglichen Alternativen gesucht. Nicht erst seit gestern haben Personalabteilungen daher das Thema Quereinstieg auf dem Schirm, auch in der IT. Und so werden Stellenprofile zunehmend für Werdegänge jenseits des klassischen Informatikstudiums geöffnet. Vielerorts herrscht die Devise: Hauptsache Interesse für IT-Themen, alles weitere Notwendige muss über Qualifizierungen erreicht werden. Diese Einstellung kennt auch Natalie Geise. Sie arbeitet für den bundesweit tätigen Berliner Verein Tech in the City, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, IT-Interessierte und IT-Recruiting zusammenzubringen.
Bei Ihrer Arbeit trifft sie oft auf Menschen, die irgendwann einmal etwas ganz anderes studiert oder eine fachfremde Ausbildung absolviert haben, nun aber den Einstieg in die IT suchen. So unterschiedlich deren individuelle Hintergründe auch sind, gemeinsamer Nenner ist das Interesse an Technik. Danach gefragt, ob Tech in the City feststellen kann, ob es so etwas wie ein klassisches Profil der Quereinsteigenden gibt, sagt sie: „Nicht wirklich. Das ist sehr breit aufgestellt. Auch was die Berufserfahrung angeht. Manche sind schon sehr erfahren, andere stehen am Anfang ihres Berufslebens. Aber es gibt eben meistens ein grundsätzliches Interesse an digitalen Themen.“
Events für den Quereinstieg
„Chancen in der IT für Ungelernte“, „Women can do IT“ und „Digitale Jobs als Karriereoption für Geistes- und Sozialwissenschaften“: Die Veranstaltungen des Vereins richten sich explizit an Fachfremde, die mit einem Einstieg in die IT liebäugeln. Hier erhalten sie Tipps für die Bewerbung und den Quereinstieg. „Mit unserer Arbeit richten wir uns in erster Linie an wechselwillige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber nicht nur. Wir stehen auch im engen Kontakt mit der Berufsberatung der Arbeitsagenturen. Hier bieten wir eine Potentialanalyse an. Mit welchen Fähigkeiten kann man in welchem technischen Beruf einsteigen? Welche Qualifizierungsmaßnahmen können dabei helfen? Die Beraterinnen und Berater der Arbeitsagentur können dann im nächsten Beratungsgespräch diese konkreten Optionen ins Spiel bringen.“
Wichtig ist jedoch auch der direkte Austausch zwischen interessierten Quereinsteigenden und den Arbeitgebern. Und wer könnte besser darüber Auskunft geben, was zählt beim Quereinstieg in das eigene Unternehmen, als die Firma selbst? Messen und Infoveranstaltungen, auf denen sein Team mit potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern in den Austausch treten kann, sind für Thomas Zollner daher ein fester Bestandteil des Recruitings. Der Geschäftsführer von SmartBit Solutions, einer Nürnberger Software-Firma, möchte vor allem Ängste nehmen: „Viele unterschätzen sich und ihre Fähigkeiten und denken, dass sie für einen Quereinstieg etwa in die Webentwicklung nicht in Frage kommen. Sie haben Angst, sich zu bewerben. Da muss man leider auch festhalten, dass manche Stellenanzeigen tatsächlich sehr abschreckend wirken können.“
Mehrwerte durch Quereinstieg
Natürlich bringen ausgebildete IT-Fachkräfte etwas mit, womit keine Quereinsteigerin und kein Quereinsteiger dienen kann. Das weiß auch Thomas Zollner. Da gibt es etwa bestimmte Programmierparadigmen, die im Rahmen eines Informatikstudiums oder auch in der Ausbildung zum Fachinformatiker vermittelt werden. Aber für ihn sind andere Aspekte entscheidend: „Ich erlebe oft, dass Quereinsteiger sehr pragmatisch sind, praxisorientiert und nicht zu verkopft. Außerdem bringen sie einen anderen Blickwinkel auf technische Probleme mit. Das hilft, um zu kreativen Lösungen zu kommen.“
Zitat:„Für mich ist der Grund, wieso jemand bei mir in einem IT-Beruf einsteigen möchte, viel wichtiger als seine Ausbildung.“ Thomas Zollner, Geschäftsführer
Auch Karolina Decker, CEO des Finanz-Startups FinMarie, sieht bei Quereinsteigenden große Potentiale: „Es gibt Eigenschaften, die sind branchenunabhängig. Resilienz, Empathie, analytisches Denken und organisatorisches Talent sind Dinge, die kann jemand auch in einem ganz anderen Beruf entwickelt haben.“ Für die Geschäftsführerin bietet Quereinstieg daneben einen ganz besonderen Mehrwert, denn er fördert die Vielfalt in technischen Berufen. „Unterschiedliche fachliche Hintergründe und berufliche Erfahrungen können zu einer produktiven Zusammenarbeit und einem dynamischen Arbeitsumfeld beitragen. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger können innovative Ideen und frische Denkweisen in das Unternehmen einbringen, die zu kreativen Lösungen führen können.“ Eine Dynamik, die mit einem weniger gemischten Team womöglich schwieriger zu erreichen ist.
Natalie Geise von Tech in the City sieht hier auch Chancen, verloren gegangene Potentiale wieder zu heben. „Viele Frauen, die sich bei uns melden, hatten in ihrer Jugend ein Interesse an Technik, das sich dann aber, wieso auch immer, nicht in ihrer Ausbildungswahl niedergeschlagen hat. Frauen machen mit 25 Prozent nur einen geringen Anteil der IT-Studierenden aus. Der Quereinstieg ist eine Möglichkeit, hier noch einmal nachzujustieren und IT-Abteilungen in Bezug auf das Geschlecht doch noch etwas ausgeglichener zu besetzen.“
Qualifizierung für den IT-Quereinstieg
Ein Job in der IT ist nicht nur lösungsorientiertes analytisches Denken und Resilienz, sondern auch die Anwendung ganz spezifischer fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten. Und obwohl ein Großteil der am Quereinstieg Interessierten aus Berufsfeldern stammt, die fachlich nicht allzu weit weg sind von der Informationstechnik, müssen eben doch auch die eine oder andere Programmiersprache und allgemeine Coding-Standards gelernt werden. „Personalabteilungen können gezielte Weiterbildungsprogramme anbieten, etwa in Form von Schulungen, Workshops oder Mentoring-Programmen, um Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger auf den technischen Bereich vorzubereiten“, sagt Karolina Decker. Das sieht auch Thomas Zollner so. Als Arbeitgeber gibt er seinen Quereinsteigenden die nötige Zeit, um das Fachliche zu lernen. Wichtig sei aber auch, früh zu zeigen, dass man Quereinstieg fördert: „Der Arbeitgeber muss schon im Vorfeld zeigen, dass er Wechselwillige unterstützt. In der Stellenanzeige selbst, aber auch in den Medien oder ganz konkret im direkten Gespräch auf Messen.“