28.08.2019 - Antonia Kemper -6 MinutenMitarbeiter finden
Seit Anfang 2019 gibt es das sogenannte Teilhabechancengesetz. Es sieht vor, dass Arbeitgeber Lohnkostenzuschüsse erhalten, wenn sie Bewerber einstellen, die länger ohne eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung waren. Ziel ist es, diese wieder dauerhaft auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.
Den Jobcentern stehen dafür vier Milliarden Euro zur Verfügung; 150.000 Langzeitarbeitslose könnten davon profitieren – und mit ihnen die Unternehmen. Sowohl die Förderdauer als auch die Fördersumme ist gestaffelt: Die Lohnkosten für Menschen, die länger als zwei Jahre arbeitslos waren, werden im ersten Jahr zu 75 Prozent bezuschusst, im zweiten Jahr zu 50 Prozent (§16e SGB II). Wer bereits sechs Jahre und länger Hartz IV bezog, dessen Lohnkosten werden in den ersten beiden Jahren sogar zu 100 Prozent ersetzt; in den folgenden drei Jahren verringert sich der Zuschuss um jeweils zehn Prozent (§16i SGB II). Auch die Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen werden bis zu einer Höhe von 3.000 Euro übernommen. Ganz neu ist ein begleitendes Coaching. Es steht den Neu-Beschäftigten ebenso zu wie ihren Arbeitgebern und wird von den Jobcentern bezahlt.
Die Chancengeberin
Zitat:„Die Förderung ist eine große Hilfe“
Interview mit Katrin Sieg, 42, Leiterin des Seniorenpflegeheims Domicil Residenzstraße GmbH in Berlin-Reinickendorf
Faktor A: Mehr als die Hälfte der Arbeitgeber schauen sich angeblich Bewerbungen von Menschen, die länger arbeitslos sind, erst gar nicht an. Sie schon. Warum?
Katrin Sieg: Ich lade grundsätzlich jeden ein, der sich bei uns bewirbt. Ein Stück Papier sagt ja nicht viel über einen Menschen aus.
Thomas Ferber konnte sich bei Ihnen nicht nur vorstellen – Sie haben ihn auch eingestellt. Und das, obwohl er bereits 60 ist.
Eine gut gemischte Mitarbeiterschaft halte ich für wichtig. Da kann jeder vom anderen lernen. Die Älteren bringen ja eine ganz andere Erfahrung und Einstellung zum Leben mit als junge Menschen. Unser Spektrum an Bewerbern ist auch ziemlich breit: Manche haben schlechte Deutschkenntnisse, andere sind lange aus dem Beruf raus, und wieder andere fangen gerade erst an. Die sind ja auch nicht fertig. Aber irgendwo muss jeder mal einsteigen. Und wenn es bei uns ist, dann ist es eben bei uns.
Hat Sie Ihre Menschenkenntnis noch nie betrogen?
Doch, und natürlich muss ich auch mal jemanden gehen lassen. Man erkennt nicht alles in einem Bewerbungsgespräch. Aber dafür gibt’s ja die Probezeit. Da lässt sich schauen, wie sich ein Mitarbeiter entwickelt.
Die von Thomas Ferber ist jetzt fast um. Wie ist es gelaufen?
Wir sind sehr zufrieden. Er hat neue Ideen eingebracht, andere Sichtweisen. Das finde ich gut.
Hätten Sie ihn eigentlich auch ohne die Zwei-Jahres-Förderung durch das Teilhabechancengesetz genommen?
Vermutlich ja. Den Hinweis auf eine mögliche Förderung gab er mir ja erst nach der Vereinbarung für den Schnuppertag. Er hatte sich ganz normal auf eine Ausschreibung beworben. Doch durch die Förderung seiner Stelle konnte ich noch jemanden einstellen. Das ist eine große Hilfe, vor allem für das Team; es muss den Kollegen ja mittragen und zumindest anfangs für ihn mitarbeiten. Denn wer lange aus dem Berufsleben raus war, hat viel mehr Dinge zu bewältigen als jemand, der nur kurz arbeitslos war: Termine einhalten, Beständigkeit, ein neuer Alltag – an all das muss sich so jemand erst wieder gewöhnen. Das braucht Zeit und Verständnis vom Team. Aus eigener Kraft kann ein Unternehmen das nur sehr begrenzt stemmen. Sonst überfordert man die Mitarbeiter.
2021 wird die Förderung seiner Stelle auslaufen. Hat Thomas Ferber dann die Chance auf eine unbefristete Anstellung, so wie es das Programm vorsieht?
Man kann ja nicht in die Zukunft schauen, aber wenn alles so weiterläuft wie bisher, auf jeden Fall. Niemand, der gute Arbeit leistet, muss sich darüber Gedanken machen.
Der Chancennehmer
Zitat:„Ich wollte gerne etwas im Sozialen machen“
Thomas Ferber, 60, Betreuungsassistent im Seniorenpflegeheim Domicil in Berlin-Reinickendorf
„Ich habe immer gearbeitet: Entweder hatte ich in den letzten Jahren Ein-Euro-Jobs oder war in einer sogenannten FAV beschäftigt, einer Förderung von Arbeitsverhältnissen; früher hieß das mal ABM. Vor knapp zwei Jahren habe ich dann mit einem Bildungsgutschein eine Ausbildung zum Betreuungsassistenten gemacht und mit „sehr gut“ bestanden.
Ursprünglich habe ich mal bei der Bundesbahn gelernt; Aspirant hieß das damals. Nach der Lehre war ich als Zugbegleiter unterwegs, vor allem nachts. Irgendwann bin ich auf der Heimfahrt von der Arbeit am Steuer eingeschlafen und hatte einen schweren Autounfall. Ich bin dann zu Daimler- Benz, Frontscheiben in Lkws einbauen. Als vier Jahre später meine Ehe scheiterte, wollte ich nach Asien auswandern, aber ich bin in Berlin hängen geblieben. Dort habe ich Trockenbau gemacht. Damit hatte ich mir schon als Schüler Geld verdient. Als es mit dem Rücken nicht mehr ging, wurde ich schließlich arbeitslos. Das war vor 20 Jahren.
Im Jobcenter habe ich meinem Betreuer gesagt, dass ich gerne etwas im sozialen Bereich machen möchte. Das hat mich früher schon interessiert, als ich selbst noch Fußball gespielt habe und im Verein ehrenamtlich die Jugend betreute. So habe ich angefangen, mit Senioren zu arbeiten, bin zu ihnen nach Hause gefahren oder in die Einrichtungen, in denen sie wohnten. Das hat mir Spaß gemacht. Bezahlt wurde das über das Jobcenter; ich war ja weiterhin offiziell arbeitslos. Als nun die Fördermöglichkeit kam, wollte ich gerne fest in einem Heim arbeiten. Ich habe dann im Internet recherchiert und mich auf freie Stellen beworben. Das hatte ich zwar vorher auch schon getan, aber entweder nie etwas gehört oder eine Absage bekommen.
Dieses Mal habe ich fünf Bewerbungen abgegeben, unter anderem bei Domicil. Die kannte ich schon von meiner vorhergehenden Tätigkeit. Bei Domicil bin ich immer herzlich empfangen worden: „Ach, Herr Ferber, schön, dass Sie mal wieder da sind“, hieß es dann. Drei Einrichtungen hätten mich jetzt genommen. Ich war ja kein Neuling mehr; im Grunde genommen habe ich neun Jahre Berufserfahrung. Das hat natürlich geholfen. Eine Woche lang bin ich bei einer Kollegin mitgelaufen, seitdem arbeite ich selbstständig. Wir sind insgesamt zwölf Betreuungsassistenten. Wir kümmern uns um die Bewohner, machen mit ihnen Gruppenarbeit, basteln, spielen Spiele oder gehen mit ihnen raus oder zum Einkaufen, wenn sie das möchten. Manche aber wollen einfach nur reden, von früher und so, dann hören wir eben zu. Vor drei Monaten habe ich selbst eine Gruppe gegründet, einen Männerstammtisch. Jeden zweiten Freitagnachmittag wird jetzt Skat gekloppt und auch mal ein Bier getrunken.
Ich habe zwar einen Coach, die sehe ich auch regelmäßig, aber wenn Schwierigkeiten aufträten, dann würde ich die dort klären, wo sie herkommen. Damit habe ich kein Problem. Als mal keine Leihrollstühle für die Bewohner im Lager waren, weil sie niemand von den Stationen wieder runtergebracht hat, habe ich auf der Teamsitzung etwas dazu gesagt. Jetzt kommen sie wieder runter, und alles ist chic.
Ich fühle mich hier wohl und würde gerne bleiben, auch nach der Förderung. Ich will auch nicht mit 65 in Rente gehen; mir macht mein Job ja Spaß. Ich sag’ immer: ‚Falls ich irgendwann nicht mehr so gut hin- und herfahren kann, dann ziehe ich hier ein und arbeite eben von zu Hause aus.“