26.04.2017 - Esther Werderinghaus -6 MinutenMitarbeiter finden
Eine Ausbildung mit 35? Kein Problem. Die Arbeitsagentur reagiert mit Initiativen wie „Zukunftsstarter“ und „Teilzeitausbildung“ auf den steigenden Bedarf an Fachkräften. Wie Unternehmen von den lebenserfahrenen Bewerbern profitieren.
Kein Berufsabschluss, nur Hauptschulreife, über 25 Jahre alt – wer sich mit einem solchen Zeugnis in einem Betrieb vorstellt, hat es schwer. Die Menschen hinter Noten, Abschlüssen und Geburtsjahren geraten dabei völlig aus dem Fokus. Passt das noch in unsere Zeit?
Heute, wo Märkte global sind und der technologische Fortschritt unaufhaltsam ist, wächst in allen Sektoren der Bedarf an qualifizierten Fachkräften. 1,5 Millionen Menschen zwischen 25 und 35 Jahren in Deutschland haben zurzeit keinen formellen Berufsabschluss. Doch sind diese Menschen wirklich unvermittelbar?
Ältere Azubis verfügen oft über mehr Lebenserfahrung, viele von ihnen haben schon in Berufen gejobbt, vielseitige Erfahrungen in Betrieben gesammelt, auch ohne dabei einen offiziellen Berufsabschluss erworben zu haben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Manche mussten früh eine Familie ernähren. Oder Kinder allein erziehen. Mütter zum Beispiel: Die sind oft gut im Organisieren, aufgrund ihrer Lebenserfahrung auch einfühlsamer und souveräner im Umgang etwa mit Patienten, Kunden oder Verbrauchern. Warum sollten Menschen, die ihr zwanzigstes Lebensjahr überschritten haben, keine zweite Chance verdienen?
Die Bundesagentur für Arbeit hat deswegen gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Initiative ins Leben gerufen, die Arbeitgeber sensibilisieren soll für die etwas anderen Auszubildenden. Sie nennt sich „Zukunftsstarter“ und ist gedacht für Menschen, die eine Ausbildung angehen wollen, weil sie – zum Beispiel – keine Perspektiven mehr in ihrem alten Beruf sehen. Für solche, die jahrelang nur gejobbt haben, weil sie vielleicht schon früh eine Familie ernähren mussten. Für Mütter, die einmal dachten, sie seien im Leben angekommen und denen das Schicksal dazwischenkam. Für Berufstätige, die in einer Branche ausgebildet wurden, die heute nicht mehr relevant ist.
Die Initiative Zukunftsstarter ist für diese Leute eine große Chance. Die Auszubildenden erhalten unter anderem Weiterbildungsprämien für gutes Durchhaltevermögen und Prämien für erfolgreiche Zwischen- und Abschlussprüfungen. Auch Grundkompetenzen wie sprachliche oder mathematische Fähigkeiten werden unterstützt. Bis Ende 2020 konnten Arbeitsagenturen und Jobcenter etwa 120.000 junge Erwachsene im Alter fördern.
Da die Initiative so erfolgreich war, wurde sie Anfang 2022 fortgesetzt. Bis Ende 2025 werden nun weitere 120.000 Zukunftsstarter gesucht, um sie auf ihrem zweiten Berufsweg zu begleiten.
Vier Zukunftsstarter und ihre Ausbilder erzählen vom Neuanfang
Die Zukunftsstarterin
Vanessa Trapani, 26, Konditoreifachverkäuferin in Schwenningen
„Ich hatte die Hoffnung auf eine berufliche Karriere schon fast aufgegeben. Zu viele bürokratische und finanzielle Hürden standen mir als alleinerziehender Mutter im Weg. Doch plötzlich ergab sich die Möglichkeit, in Teilzeit Konditoreifachverkäuferin zu lernen. Damals arbeitete ich als Aushilfe in einem Café in Schwenningen und mein Chef setzte sich dafür ein, dass ich eine Ausbildung als Konditoreifachverkäuferin bei ihm beginnen kann und Unterstützung von der Bundesagentur erhalte. Mein Chef hatte viel Vertrauen in mich. Das hat mich so angespornt, dass ich nach meiner zweijährigen Ausbildung Innungssiegerin geworden bin: Für die Abschlussprüfung habe ich eine englische Teezeit im Schaufenster meiner Konditorei nachgestellt. Ich war die Beste im Präsentieren und Verkaufen. Darauf bin ich stolz. Und wer weiß, vielleicht werde ich in ganz ferner Zukunft mal mein eigenes Café haben.“
Der Chef
Frank Singer, Konditormeister
„Mir war schnell klar, dass Vanessa eine Ausbildung auch durchziehen würde. Eines Tages kam sie in Tränen aufgelöst zur Arbeit und sagte, dass sie ihren Job kündigen müsse, weil sie ihren Kitaplatz nicht mehr bezahlen kann. Ich rief in der Kita an und zahlte erst mal einen Teil der Kosten. Dann kommunizierte ich mit dem Jobcenter über die Möglichkeiten, in einer erwachsenengerecht verkürzten, betrieblichen Umschulung den Berufsabschluss der Konditoreifachverkäuferin zu erwerben. Es ging! Das Jobcenter erstattete die Fahrkosten zur Berufsschule, gab einen monatlichen Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten und wir ermöglichten ihr als Betrieb Arbeitszeiten, die sich mit der Betreuung ihres Kindes vereinbaren ließen. Es hat sich gelohnt.“