02.05.2018 - Birga Teske -8 MinutenMitarbeiter qualifizieren
Kurz vor dem Abitur verfällt eine junge Frau den Drogen. Sie schafft den Entzug, macht eine Ausbildung und findet als Jahrgangsbeste einen festen Job.
„Mein Arbeitgeber weiß nicht, dass ich einmal Drogen genommen habe, und das soll auch so bleiben. Ich bin 29 Jahre alt, werde bald 30 und arbeite als Bürokauffrau. Angefangen hat alles kurz vor dem Abitur. Gekifft hatte ich früher schon, aber dann kamen Ecstasy und Crystal Meth dazu. Mein Freund hatte sich von mir getrennt. Die letzte Abiklausur habe ich einfach nicht mehr mitgeschrieben. Statt sie zu wiederholen, wollte ich eine Erzieherinnen-Ausbildung machen. Anfangs lief noch alles gut, aber ich habe weiter Drogen genommen. Irgendwann konnte ich die Fassade nicht mehr aufrechterhalten. Ich hatte einfach zu viele Fehlzeiten. Zu der Zeit habe ich bei meinen Eltern gewohnt, war kaum noch zu Hause und haute irgendwann einfach ab.
Um mich zu finanzieren, habe ich Drogen über die Grenze geschmuggelt. Einmal hat mich die Polizei angehalten. Die Beamten haben nichts bei mir gefunden, ein Zufall. Meinen Führerschein aber musste ich abgeben. Das war schlimm für mich, weil ich ein Stück meiner Unabhängigkeit verloren habe. Noch dazu war ich damals mit einem jungen Mann zusammen, der gewalttätig war. Ich musste deshalb auch ambulant ins Krankenhaus. Es waren meine Eltern, die mich schließlich aus der Beziehung rausgeholt haben.
Mein Bruder, über dessen Freunde ich überhaupt erst an die Drogen geraten war, machte damals schon eine Therapie. Davor war er im Gefängnis. Mit seiner Hilfe habe ich gleich einen Therapieplatz gefunden. Dort habe ich auch meinen jetzigen Mann kennengelernt.
Sechs Monate waren wir in Therapie, anschließend haben wir zeitgleich eine Ausbildung im Trainings- und Ausbildungszentrum in Frankfurt gemacht. Alles ging sehr schnell. Zwei Jahre nachdem ich mit den Drogen angefangen hatte, begann schon der Entzug. Warum ich mich dazu entschlossen habe? Ich war spielsüchtig, habe gemerkt, dass mein ganzes Geld dabei draufging. Wenn ich keine Drogen genommen habe, war ich ständig müde und hatte schlechte Laune. Meine Eltern haben mir klargemacht: bis hierher und nicht weiter. Sie haben mich unterstützt. Und meine Stiefschwester hat mir gut zugeredet. Deshalb bin ich in der Therapie geblieben.
Kampf gegen Depressionen
Die erste Zeit war sehr schlimm. Jeden Tag habe ich an Abbruch gedacht. Ich musste früh aufstehen, pünktlich zum Frühstück kommen. Dann gab es Arbeitstherapie, Sporttherapie, Gruppentherapie. Von morgens bis abends war der Tag durchgeplant. Ich hatte mit Depressionen zu kämpfen, dazu ständig diese Drogengespräche: Was hast du genommen, wie lange? Ständig denkst Du an Drogen. Auch die Beziehung zu meinem jetzigen Mann war nicht einfach. Wir waren nie allein, immer unter Beobachtung.
Nach einiger Zeit haben wir gelernt, wieder selbst einkaufen zu gehen und uns mit Essen zu versorgen. Als es uns besser ging, haben wir beschlossen, die Ausbildung in Frankfurt zu beginnen. Nachdem wir dorthin gezogen waren, hatten wir noch einmal Kontakt zu einigen Leuten aus der Therapie. Die haben uns in unserer Wohnung besucht und sind einfach nicht mehr gegangen. Am Ende ist jemand von der Therapie mit uns hingegangen und hat uns geholfen, sie rauszuschmeißen.
Wir haben geheiratet und gleich ein Kind bekommen. Da war ich im zweiten Ausbildungsjahr. Ich hatte eine schlimme Schwangerschaftsübelkeit, habe keine Antidepressiva mehr nehmen können, bin aber weiter zur Berufsschule gegangen und habe gelernt. Nach der Elternzeit habe ich meine Ausbildung beendet – regulär nach drei Jahren und mit einer Eins vor dem Komma. Auch mein Mann hat den Abschluss geschafft. Während wir bei der IHK-Prüfung waren, hat Frau Iffländer vom Trainings- und Ausbildungszentrum auf unser Baby aufgepasst.
Durch das Baby mussten wir einen geregelten Tagesablauf einhalten und schnell Verantwortung übernehmen. Ich habe dann meinen Führerschein wiederbekommen. Das war sehr wichtig für mich. Kurz nach der Ausbildung habe ich eine unbefristete Stelle gefunden. Weil ich die Beste in meinem Ausbildungsjahrgang war, habe ich von der IHK ein Weiterbildungsstipendium erhalten. Während der Arbeit habe ich die Abendschule besucht und meinen Fachwirt gemacht.
Die Vergangenheit soll geheim bleiben
Ich habe die Ausbildung und Weiterbildung viel ernster genommen als damals das Gymnasium. Ich war total motiviert, auch weil ich wusste, was passiert, wenn ich alles schleifen lasse und nicht zur Schule gehe. Auf der Arbeit habe ich meine Vergangenheit geheim gehalten. Ich dachte, den Kollegen fällt die Kinnlade runter, wenn sie das hören. Und ich hatte Angst, dass es Diskussionen gibt, wenn ich einmal längere Zeit krank wäre. Aber wegen der Lücke in meinem Lebenslauf gab es anfangs viele Fragen. Das war hart.
Wenn wir am Bahnhof vorbeikommen, halten wir schon mal Ausschau nach alten Bekannten. Meist machen wir aber einen großen Bogen darum. Wir möchten damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Und ich bin froh, wenn ich nicht darüber reden muss. Ich kenne viele Drogenabhängige, die es nicht geschafft haben. Aber nicht jede Droge und jeder Junkie sind gleich. Heroin ist gemessen am körperlichen Verfall am schlimmsten. Da gibt es die wenigsten, die hinterher eine Ausbildung geschafft haben.
Aber ich kenne auch positive Beispiele. Eine Frau aus meinem Jahrgang, die heroinabhängig war, hat geheiratet, zwei Kinder bekommen und auch wieder Fuß gefasst. Mein Bruder hatte wie ich synthetische Drogen genommen. Er bekam zwischendurch einen Rückfall und war noch mal im Gefängnis. Inzwischen ist er auch clean und heiratet dieses Jahr. Er hat zwar keine Ausbildung gemacht, aber er arbeitet bei meinem Stiefvater im Betrieb.
Drogen sind für meinen Mann und mich heute überhaupt kein Thema mehr. Und darüber bin ich sehr froh.“