12.01.2022 - Nicole Benke -8 MinutenMitarbeiter qualifizieren
Die Hamburger Agentur Protofy ermöglicht allen Mitarbeitenden kostenlose monatliche Personal Coachings. Geschäftsführer Moritz Mann will damit das persönliche Wachstum der einzelnen Teammitglieder fördern. Auch sein Unternehmen profitiert: Die Krankheitstage sind gesunken, die Fluktuation ist niedrig, die Zufriedenheit im Team hoch. Im Interview erklärt der Gründer, wie Coaching wirkt und warum ein von innen heraus starkes Team das ganze Unternehmen erfolgreicher macht.
Faktor A: Was genau bietet Protofy seinen Mitarbeitenden an?
Moritz Mann: Bei uns können sich alle Mitarbeiter:innen coachen lassen. Die Coachings finden einmal im Monat während der Arbeitszeit statt und sind für die Mitarbeiter:innen kostenlos und freiwillig. In den 1:1-Gesprächen können sie alle Themen bearbeiten, die sie beschäftigen – beruflich und privat. Es kann also zum Beispiel um persönliche Herausforderungen oder Lebensziele gehen, um Strategien im Umgang mit Konflikten, um das Hineinwachsen in eine neue Rolle oder um Führungsfragen. Was in den Sessions besprochen wird, bestimmen allein die Mitarbeiter:innen. Wir als Geschäftsführung halten uns komplett raus.
In der Regel werden vor allem Führungskräfte gecoacht. Warum ein Angebot für alle?
Ich denke, es ist ein Fehler, dass Coachings in vielen Unternehmen nur den Führungskräften vorbehalten sind. Warum nicht allen die Tools an die Hand geben, die beste Version ihrer selbst zu werden? Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit Coaching gemacht und habe mich dadurch extrem weiterentwickelt. Das möchte ich allen in unserem Team ermöglichen. Mein Wunsch ist, dass jeder Mitarbeitende irgendwann auf seine Zeit bei Protofy zurückblickt und sagt: „Da habe ich mich persönlich am stärksten weiterentwickelt.“ Außerdem glaube ich, dass die Investition in die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter:innen auch eine Investition ins Unternehmen ist. Wenn der Einzelne wächst, wächst auch das Business.
Inwiefern?
Für ein starkes Unternehmen braucht es starke Menschen, ein von innen heraus starkes Team. Und eben nicht nur starke Führungspersönlichkeiten. Da kann Coaching helfen: Es fördert die Selbstverantwortlichkeit, steigert Resilienz und Selbstregulation. Es hilft beim Umgang mit Stress, befähigt zum Agieren statt Reagieren. Diese Dinge werden in der modernen Arbeitswelt immer wichtiger. Unsere Mitarbeiter:innen sind sich durch die Coachings ihrer selbst bewusst. Sie wissen genau, was sie können, was sie wollen und was sie dafür brauchen. Sie kennen ihre Ziele und arbeiten bestenfalls im Einklang mit ihnen. Das erhöht die Zufriedenheit und die Motivation – und am Ende auch die Arbeitsfähigkeit. Der Output ist größer, denn innere und äußere Konflikte kosten die Mitarbeiter:innen nicht mehr so viel Zeit, weil sie konstruktiver mit ihnen umgehen. Es profitieren also beide Seiten: die Mitarbeitenden und das Unternehmen.
Waren alle sofort von dem Angebot begeistert?
Nein. Als ich das Thema 2015 erstmals aufbrachte, waren viele zunächst skeptisch. Die wesentlichen Befürchtungen waren: Ist das eine Therapie? Verpflichtet mich das zu irgendetwas? Gibt es jetzt ein Protofy-Brainwashing? Mich hat das nicht überrascht, denn weitverbreitet ist so ein kostenloses Coaching-Angebot noch nicht. Da liegt es nahe zu denken, dass wir das aus purem Eigennutz anbieten. Wir konnten aber alle Zweifel schnell ausräumen.
Wie ist das gelungen?
Ich habe erklärt, warum ich die Coachings einführen möchte. Dass sie kein Muss sind, sondern ein Benefit sein sollen. Dass sie einen Mehrwert bieten, von dem die oder der Einzelne profitiert, auch dann, wenn sie oder er Protofy einmal verlassen sollte. Ich habe erzählt, wie Coaching mich selbst weitergebracht hat, und dass persönliche Weiterentwicklung seither ein Lebensziel von mir ist. Dazu habe ich immer wieder die Vertraulichkeit betont und versichert, dass es keinerlei Feedback oder Reportings an die Vorgesetzten oder die Geschäftsführung geben wird. Das ist einer der wichtigsten Punkte überhaupt. Genau wie das Thema Freiwilligkeit. Ich sagte: Niemand muss mitmachen, aber jede:r ist herzlich eingeladen, es einfach mal auszuprobieren. Um die Einstiegsbarriere niedrig zu halten, haben wir Kennenlern-Sessions mit den Coaches angeboten. Die Skepsis verflog dann schnell. Inzwischen nehmen 97 Prozent unserer Mitarbeiter:innen die Coachings wahr, und wir investieren etwa drei Prozent unseres Umsatzes in die Maßnahme.
Welche Effekte gibt es?
Zum einen ist es deutlich im Arbeitsalltag spürbar. Das Miteinander ist wertschätzender und reflektierter geworden, der Umgang miteinander ist insgesamt sehr konstruktiv und lösungsorientiert. Gerade in Konfliktsituationen zeigt sich, dass wir inzwischen alle gut geschult sind. Wir haben gelernt, offen zu sprechen, andere Perspektiven einzunehmen und Coaching auch als Tool für nachhaltigere Lösungen einzusetzen. Bei bestimmten Themen heißt es schon mal: „Wollen wir das nicht mal mit einem Coach zu dritt besprechen?“ Dann wird der Coach als Mediator:in dazugeholt – das ist unglaublich wertvoll. Auch in Zahlen machen sich die Coachings bemerkbar.
Was heißt das konkret?
Wir verbuchen weniger Fehltage, eine geringere Fluktuation und eine hohe Zufriedenheit. Unsere Mitarbeiter:innen fehlen krankheitsbedingt 4,6 Arbeitstage weniger als früher. Damit liegen wir 42 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 11,2 Tagen im Jahr. Unsere Fluktuationsrate liegt deutlich unter 20 Prozent. Im Schnitt bleiben unsere Mitarbeiter:innen derzeit 2,5 Jahre bei Protofy – für ein junges, wachsendes Unternehmen ist das ein super Wert. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Fluktuationsrate in der Informations- und Kommunikationsbranche liegt bei 67,4 Prozent. Einmal im Monat befragen wir unser Team zudem zu seiner grundsätzlichen Zufriedenheit. Seitdem wir die Coachings anbieten, liegt der Wert konstant bei über acht von zehn Punkten. Die Stimmung ist gut. Das wirkt sich positiv auf die Mitarbeiterbindung aus und hat auch Effekte aufs Employer Branding: Das Team spricht außerhalb des Unternehmens über unser Coaching-Angebot und wirbt damit für Protofy. Selbst Mitarbeiter:innen, die uns verlassen, empfehlen uns weiter – das freut mich besonders, denn es spricht für eine starke Unternehmenskultur.
Und wenn jemand im Coaching merkt, dass er oder sie im falschen Job ist?
Wenn sich jemand durch das Coaching dazu entscheidet, zu gehen, stehe ich nicht im Weg. Ich habe doch nichts davon, wenn bei mir jemand arbeitet, der merkt, dass der Job oder das Unternehmen eigentlich nicht zu ihr oder ihm passt. Auch hier sehe ich das Coaching als Vorteil: Unproduktivität durch unzufriedene Mitarbeiter:innen und Krankschreibungen kosten viel Geld. Coaching kann dafür sorgen, dass unglückliche Mitarbeiter:innen früher den Dialog suchen, statt abzutauchen und sich krankschreiben zu lassen. Man kann dann schneller Lösungen finden und sich im Zweifel auch trennen. Auch das zahlt auf ein nachhaltiges Unternehmenswachstum ein.
Mit wie vielen Coaches arbeitet Protofy zusammen?
Wir arbeiten aktuell fest mit drei externen Coaches zusammen. Um alle Mitarbeiter:innen bestmöglich abzuholen, braucht es Diversität unter den Coaches, sie haben unterschiedliche Charaktere und andere inhaltliche Schwerpunkte. Das erhöht die Chance, dass jeder aus unserem Team den Coach findet, der perfekt zu den persönlichen Herausforderungen und Bedürfnissen passt. Zusätzlich haben wir uns über die Jahre einen Pool an weiteren Coaches zu bestimmten Schwerpunktthemen aufgebaut, die wir bei Bedarf punktuell buchen.
Wie haben Sie die richtigen Coaches gefunden?
Mir war wichtig, dass die Coaches neue Impulse und Sichtweisen mit ins Unternehmen bringen und wir die Chance haben, mit ihrer Hilfe zu wachsen. Ich bin über Empfehlungen gegangen und habe ganz klassisch bei Google gesucht. Drei Coaches habe ich zu einem Kennenlerngespräch getroffen, davon blieb einer übrig, der mir dann weitere empfohlen hat. Es gibt auch Coaching-Plattformen, die nutzen wir aber nicht, weil sie mir zu starr und überladen sind.