Mit Weiterbildungen gegen die Fachkräftelücke

Im Interview erläutern Geschäftsführer Torsten Bethke und Qualifizierungsberaterin Dragana Marijan, welchen Stellenwert Weiterbildungen in einer modernen Personalpolitik haben.


28.03.2023 - Matthias Haft -14 MinutenMitarbeiter qualifizieren

Manchmal bedarf es nur einer Qualifizierung, um eine lange vakante Stelle endlich besetzen zu können. Weiterbildungen bieten Unternehmen mit kritischer Personalsituation die Chance, interne Kräfte so zu qualifizieren, dass sie neue Aufgaben übernehmen können.

Je kleiner ein Unternehmen ist, desto kritischere Auswirkungen kann eine Personallücke auf die Arbeitsfähigkeit des gesamten Betriebs haben. Fehlende Urlaubs- und Krankheitsvertretungen belasten die Belegschaft, der Besuch beim Kunden muss ausfallen, einzelne Tätigkeiten können vielleicht gar nicht mehr erbracht werden. Dabei zählen 99 Prozent der Betriebe in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen

Gezieltes Recruiting von ausgebildeten Fachkräften ist ein naheliegender Ansatz, um die eigenen Personallücken zu schließen. Doch der hat Grenzen. Viele kleine Unternehmen haben Standortnachteile oder können nicht mit dem umfangreichen Sozialangebot etwa eines großen Konzerns mithalten. Aufzubauen auf dem, was man hat, kann daher auch eine sinnvolle Strategie sein, um Personal weiterzuentwickeln und zu halten. Daneben bietet auch die passgenaue Qualifizierung von Quereinsteigern Potential für kleine und mittlere Unternehmen.   

Qualifizierung im Mittelstand

Im Süden von Niedersachen, eine gute Stunde Fahrtzeit von Hannover entfernt, liegt das Örtchen Eldagsen. Von den handwerklichen Traditionen der Senfverarbeitung und der Honigkuchenproduktion zeugt heute nur noch das alljährlich stattfindende Honigkuchen-Senf-Fest. Produziert wird zwar immer noch in Eldagsen, dem Honigkuchen kommt dabei jedoch keine größere Rolle mehr zu: Stattdessen produziert etwa das Unternehmen micronex im Elektronikbereich für raue Umgebungen. Rau geht es in vielen Umgebungen zu: unter Wasser, an einem Bohrkopf, im Inneren eines LKW. Micronex baut elektronische Komponenten so, dass sie auch unter diesen Extrembedingungen funktionieren.

Das erklärt Torsten Bethke im NDR-1-Podcast Unser Thema. Dort zu Gast ist er aber aus einem anderen Grund. Es geht um Weiterbildung. Und die ist auch im Betrieb von Torsten Bethke ein wichtiges Thema. Die Elektronikbranche boomt, Fachkräfte sind begehrt. Bethke sieht die Herausforderung jedoch pragmatisch: „Wir haben immer das Thema, Mitarbeiter  aus der Elektronikbranche zu finden. Und wenn sie nicht aus der Elektronikbranche kommen, müssen wir sie fort- und weiterbilden.“ In der Personalarbeit von micronex wird Qualifizierung als Ergänzung zum Recruiting verstanden. Auch Faktor A hat sich deshalb mit dem Geschäftsführer unterhalten, über die Rezepte, mit denen sein Unternehmen dem Fachkräftemangel begegnet.


Interview: Fachkräftesicherung durch Weiterbildung 

Geschäftsführer Torsten Bethke über den Mangel an Fachkräften und die Chancen von Weiterbildungen für seine Belegschaft und sein Unternehmen. 

Faktor A: Herr Bethke, was sind die Gründe dafür, dass es Ihr Unternehmen schwer hat, eine stabile Personalsituation beizubehalten?

Ein Porträt des Geschäftsführers der Micronex GmbH Torsten Bethke
Foto und Copyright: Torsten Bethke

Torsten Bethke: Als EMS-Dienstleister (Electronic Manufacturing Services, Anm. d. Redaktion) sind wir ein Unternehmen, das auf den Markt hoch flexibel reagieren muss. Das bedeutet, wir arbeiten nicht nur mit einer Stammmannschaft zusammen, sondern auch mit etwa 10 Prozent Zeitarbeitern und/oder anderen Dienstleistern. Außerdem arbeiten wir in Schichten und müssen bei den Arbeitszeiten hoch flexibel sein. Zuletzt ist unser Standort im Süden Niedersachsens auch recht abgelegen und mit dem ÖPNV schlecht zu erreichen. All das zusammen ist für viele in der heutigen Zeit kein attraktives Arbeitsumfeld.

Mit welchen Mitteln versuchen Sie, die Situation zu verbessern? 

Um die Attraktivität des Arbeitsumfeldes zu verbessern, versuchen wir die Tätigkeiten spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Für Mitarbeitende im Office-Bereich wurden Gleitzeit und Home-Office eingeführt. Außerdem versuchen wir über diverse gemeinsame Veranstaltungen den Teamgedanken hochzuhalten und die Wichtigkeit aller Tätigkeiten aufzuzeigen.

Welche Rolle spielt die Weiterbildung von Mitarbeitenden in Ihrem Betrieb?

Die Weiterbildung spielt für uns eine sehr große Rolle, da wir uns immer wieder den neuesten technologischen Anforderungen anpassen müssen. Aber auch Weiterbildungen, die das Miteinander unterstützen, sind bei vielen Mitarbeitenden sehr wichtig, zum Beispiel bei denen, die anderen Kulturkreisen angehören.

Wie wird bei Ihnen der Bedarf für eine Weiterbildung festgestellt?

Bis vor kurzem hatte der Vorgesetzte den Bedarf zur Fort- und Weiterbildung ermittelt. Seit gut einem Jahr haben wir jedoch ein Projekt mit der Agentur für Arbeit, bei dem ein Mitarbeiter der Agentur mit verschiedenen Mitarbeitern  der micronex Gespräche führt, mit dem Ziel herauszufinden, wo sie jeweils ihre Stärken und Schwächen sehen. In diesem Gespräch können nicht nur Bedarfe für fachspezifische Fort- und Weiterbildungen identifiziert werden. Auch der Wunsch nach einer weiteren Ausbildung kann sich hier ergeben.

Können Sie ein konkretes Beispiel dafür geben?

Bei unserer Arbeit müssen wir viel löten. Und da folgen wir dem Standard IPC. Und so haben wir nicht nur IPC-Fachkräfte, sondern auch IPC-Trainer. Und zum Beispiel zu einem solchen IPC-Spezialisten kann man sich bei uns weiterbilden. Das geschieht dann inhouse. Ein zweites Beispiel betrifft eher den Bürobetrieb: Wir bieten auch Office-Schulungen, etwa für Excel, wenn jemand zwar die Basics kann, aber die Arbeit doch auch die Nutzung komplexerer Funktionen erfordert. Übrigens führen wir auch eine Qualitätssicherung durch. Nach sechs Monaten überprüfen wir, ob die gewünschten Fähigkeiten und Kenntnisse auch erzielt wurden.

Welche Formate der Weiterbildung nutzen Sie bei micronex? 

Wir nutzen die Angebote der IHK und anderer Weiterbildungsanbieter, die den Unternehmerverbänden angeschlossen sind. Zusätzlich greifen wir für bestimmte technologische Themen auf interne Weiterbildung durch unsere Kunden und durch uns selbst zurück.

Haben Sie eine Fachkraft im Unternehmen, die sich ausschließlich mit der Organisation der Weiterbildungen befasst?

Wir sind ein kleines mittelständisches Unternehmen, das mit einem Mitarbeitenden in der Personalabteilung sehr gut ausgestattet ist. Dies bedeutet aber auch, dass wir allein für die Organisation von Weiterbildungen keine Fachkraft vollständig abstellen können.

Wie finden Sie neue Mitarbeitende? Welche Rolle spielen dabei Quereinsteigende und Bewerberinnen und Bewerber, die keine abgeschlossene Ausbildung und kein beendetes Studium haben?

Der Arbeitsmarkt ist inzwischen zu einem Bewerbermarkt geworden. Das bedeutet für uns, dass die Bewerberzahl sinkt, die Auswahl geringer wird und offene Stellen langfristiger unbesetzt bleiben. Hinzu kommt, dass die micronex nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitten erreichbar ist. All diese Punkte führen in unseren Überlegungen dazu, dass wir nicht so sehr auf abgeschlossene und exakt passende Ausbildungen schauen, sondern die Fähigkeiten des oder der Einzelnen verstehen und entwickeln möchten. Konkret nehmen wir sehr gerne Auszubildende, die schon einen anderen Ausbildungsweg gegangen sind und sich umorientieren.

Haben Sie für diese Personengruppen einen spezifischen Onboarding-Prozess, der den Einstieg bzw. Umstieg erleichtert?

Wir haben inzwischen verschiedene Mitarbeitende, die für Gespräche zur Verfügung stehen und Ihre Erfahrungen gerne teilen. Dieser Prozess findet schon während der Bewerbungsgespräche statt, damit jeder weiß, worauf er sich einlässt, bevor der erste Arbeitstag startet. Dieses Angebot richtet sich aber an alle neuen Kolleginnen und Kollegen.

Wie hat Ihnen bei der Suche nach und der Qualifizierung von Mitarbeitenden die Arbeitsagentur geholfen? 

Wir stehen mit unserem lokalen Ansprechpartner der Agentur für Arbeit im engen Kontakt und nutzen die Bewerberdatenbank der BA . Gerade der schon angesprochene Aspekt der Weiterbildungen ist hier Anlass für einen regelmäßigen Austausch. Eine nette Anekdote hierzu: Als wir bei einem Bewerbungsgespräch von unseren Weiterbildungsmöglichkeiten erzählt hatten, hat sich die Bewerberin für uns entschieden, da sie sehr gerne eine Aufstiegsqualifikation erwerben wollte. Dabei konnte sie leider nicht am ersten Gespräch teilnehmen und hat ihren Freund geschickt. Ergebnis ist, dass jetzt beide eine weitere Qualifikation machen werden: Für uns als micronex eine absolute Win-Win-Situation.

Mit der externen Prüfung vom Helfer zum Gesellen

Die Firma Rodermund Bedachungen aus Essen ist ebenfalls mit der Herausforderung konfrontiert, die personellen Kapazitäten zu erhöhen. Nicht immer einfach, selbst in einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet. Auch Geschäftsführer Klaus Rodermund setzt daher auf die Chancen von Weiterbildungen. Aktuell ist einer seiner Helfer für einen dreimonatigen Vorbereitungskurs auf die externe Gesellenprüfung freigestellt. Wenn alles klappt, verfügt das Unternehmen bald über einen vollwertigen Dachdecker-Gesellen und ist damit deutlich flexibler aufgestellt.

Ein weiterer Vorteil für das Unternehmen ist, dass fast kostenneutral eine neue Fachkraft gewonnen werden kann und zudem eine Fachkraft, die ihre Verlässlichkeit im Unternehmen schon unter Beweis gestellt hat. Es ist lediglich eine Freistellung für den Schulungszeitraum erforderlich. Durch das Qualifizierungschancengesetz bestehen umfangreiche Fördermöglichkeiten. So zahlt die Agentur für Arbeit die Kosten für die Maßnahme und weitere besondere Aufwendungen. Außerdem bezuschusst sie das Helfergehalt zu 80 Prozent, damit dieses auch während der Qualifizierung gezahlt wird.

Die Agentur für Arbeit steht Unternehmen auch als kompetente Ansprechpartnerin zur Seite. Denn nicht jeder Betrieb kennt überhaupt die Möglichkeiten, die im Rahmen von Weiterbildungen bestehen. Eine solche Ansprechpartnerin ist auch Dragana Marijan vom Arbeitgeber-Service. Die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur Essen berät ortsansässige Unternehmen zu allen Fragen der Qualifizierung. Denn das ist genau die Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen: Bei der Weiterbildungsplanung und der anschließenden Antragstellung zu unterstützen. Und so brachte Frau Marijan bei der Essener Dachdeckerfirma das Thema Qualifizierung als Option ein, da die Suche nach einem fertig ausgebildeten Gesellen nun schon länger erfolglos geblieben war.

Interview: Arbeitgeber-Service und Weiterbildungsqualifikation

Qualifizierungsberaterin Dragana Marijan über die Individualität von Weiterbildungsbedarfen, den optimalen Zeitpunkt für eine Maßnahme und ihre eigene Rolle für die Arbeitgeber. 

Faktor A: Frau Marijan, wie kommen Arbeitgeber in der Regel mit Ihnen in Kontakt?  

Ein Porträt der Qualifizierungsberaterin Dragana Marijan
Foto: Dragana Marijan, © Falk Lindemann

Dragana Marijan: In dem Fall der Firma Rodermund war das über eine Kollegin, die im Arbeitgeber-Service tätig ist und die Firma betreut. Prinzipiell ist unser Ansatz, ganz nah an den Firmen dran zu sein. Wir kommunizieren Positivbeispiele sehr stark in der Region, z. B. bei den örtlichen Kammern oder in Innungen. Diese Positivbeispiele – in denen natürlich auch die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit eine Rolle spielen – nimmt dann mancher Arbeitgeber zum Anlass, uns anzusprechen. Aber auch Messen und andere Veranstaltungen bieten sich an. Hauptsache, man kommt ins Gespräch. Da stellt sich dann oft heraus: Viele suchen neue Fachkräfte und schalten Stellenanzeigen, bleiben damit aber oft erfolglos. Dabei ist ein Stellengesuch in manchen Situationen nicht erfolgversprechend, da die gewünschten Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Dann beraten die Kolleginnen und die Kollegen des Arbeitgeber-Services den Arbeitgeber und sensibilisieren ihn dafür, dass eine Qualifizierungsmaßnahme häufig zielführender ist und damit eine interne Stellenbesetzung das geeignetere Instrument sein könnte.

Und dann kommen Sie ins Spiel?

Genau, denn es gibt ja konkrete Ansätze, dass hier die Themen Weiterbildung und Qualifizierung relevant sein könnten. Arbeitgeber, mit denen ich mich das erste Mal austausche, sind dann in der Regel schon ein bisschen auf das Thema Weiterbildung und Qualifizierung eingestimmt. Und dann geht es auch schon in die konkrete Planung. Welcher Bedarf besteht konkret? Was wäre die geeignete Form der Qualifizierung, um den Fachkräftebedarf schnell und möglichst unkompliziert zu decken, denn unser Angebot umfasst vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten. Diese reichen von der Qualifizierungsberatung und anschließenden Förderung einer Externenprüfung, der betrieblichen Einzelumschulung bis hin zu diversen Anpassungsqualifizierungen. Und unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit dem Arbeitgeber zu überlegen, welche dieser Möglichkeiten sich für den Mitarbeiter und den Betrieb am besten eignen. Heißt, wir müssen nicht nur gemeinsam überlegen, welche Qualifizierung den Ansprüchen am besten gerecht wird, sondern wesentlich ist auch der Zeitpunkt. Von Beginn an stehen wir daher in einem intensiven Austausch mit den Betrieben.

Welche Rolle spielt der Zeitpunkt einer Weiterbildung?

Nehmen wir die Firma Rodermund Bedachungen: Die Winterzeit ist für einen Dachdeckerbetrieb die beste Zeit, um seine Fachkräfte weiter zu entwickeln. Man denke nur an das nasskalte Wetter. Aber auch andere Betriebe – nicht nur aus dem Handwerk – haben über die Wintermonate eine geringere Auftragsauslastung. Da ist eine Freistellung zur Weiterbildung natürlich einfacher möglich als bei vollen Auftragsbüchern im Sommer.

Gibt es Ihrer Erfahrung nach beim Thema Weiterbildung ein Patentrezept, das sich für jeden Arbeitgeber als praktikabel erweist?

Diese Frage kann ich ganz klar mit Ja beantworten. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es ganz wichtig, die Potentiale der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, in diese zu investieren. Es ist ein guter und effektiver Weg, Fachkräfte aus den eigenen Reihen zu gewinnen, insbesondere in Berufen, in welchen ein Fachkräftemangel herrscht. Gleichzeitig erzielt man auf diesem Wege auch noch eine starke Unternehmensbindung. Daher können wir als Qualifizierungsberatung wirklich nur allen Arbeitgebenden mit auf den Weg geben, das umfangreiche Repertoire unserer Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zu nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und auch morgen noch zukunftsorientiert agieren zu können. Und Weiterbildung bringt nicht nur weiter, sondern ist auch ganz einfach. 
 


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