01.10.2024 - Katja Feuerstein -5 MinutenMitarbeiter qualifizieren
Philipp Riedel, CEO der Personalberatung AVANTGARDE Experts, erklärt im Interview, wie Betriebe das volle Potenzial ihrer Beschäftigten entfalten und deren Zufriedenheit steigern können.
Globale Krisen, internationaler Wettbewerbsdruck sowie der Fachkräftemangel sind nur einige der aktuellen Herausforderungen für Arbeitgeber. Umso wichtiger für den Unternehmenserfolg ist ein schlagkräftiges Team, das sein volles Potential entfalten kann. Doch das ist hierzulande nicht selbstverständlich. Wie die Arbeitszufriedenheits-Studie 2024 von AVANTGARDE Experts zeigt, fühlen sich über 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland unterfordert. Diese bedenkliche Quote macht deutlich, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden nicht effizient einsetzen oder weiterentwickeln und damit wertvolle Ressourcen ungenutzt lassen – mit weitreichenden Folgen.
Stiller Potenzialverlust: die unterschätzte Gefahr
Das Phänomen des Quiet Potential Loss, sprich: der stille Potenzialverlust von Mitarbeitenden, ist eine der drängendsten Herausforderungen am heutigen Arbeitsmarkt. Vor dem Hintergrund des globalen Fachkräftemangels und der wirtschaftlichen Dynamik sind Unternehmen mehr denn je auf Talente angewiesen, die mit ihrem Fachwissen, Engagement und ihrer Kreativität zum Unternehmenserfolg beitragen.
Doch was passiert, wenn Mitarbeitende ihre Fähigkeiten nicht adäquat in den Job einbringen können? Für Ihr Unternehmen birgt dies enorme Gefahren, die Sie teuer zu stehen kommen können.
Unterforderung: stiller Killer für die Arbeitszufriedenheit
Unterforderung im Job ist eine der größten Gefahren für die Arbeitszufriedenheit. Nach wie vor arbeiten in Deutschland zu viele Menschen in einer Position, die nicht zu ihnen passt: 42 Prozent der Befragten finden, sie könnten wertvoller für das Unternehmen sein oder fühlen sich sogar unterfordert. Bei der wahrgenommenen Unterforderung zeigen sich dabei klare Unterschiede zwischen Führungskräften und Angestellten: Während fast die Hälfte der Beschäftigten ohne Personalverantwortung findet, dass sie wertvoller sein könnten, sagen das nur knapp 40 Prozent der Führungskräfte. Bei der wahrgenommenen Überforderung kehrt sich das Bild dagegen um: Hier berichten Führungskräfte mit 21 Prozent fast doppelt so oft von Überforderung wie Angestellte ohne Personalverantwortung mit nur elf Prozent. Laut Studie können damit insgesamt 58 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland ihr Potenzial nicht ideal nutzen. Nur 40 Prozent fühlen sich ihren Fähigkeiten gemäß eingesetzt.
Wie bei der Überforderung sind die Folgen von Unterforderung gravierend: Unzufriedenheit, Boreout, Demotivation, verminderte Produktivität und erhöhte Fluktuation sind nur einige der möglichen Probleme, die sich heute kein Betrieb mehr leisten kann. Am Ende erzeugt dies nicht nur eine toxische Arbeitsatmosphäre. Nein, es kann für Ihr Unternehmen sogar den Verlust von Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Denn da, wo Fachkräfte rar sind, ist es überlebenswichtig, die vorhandenen Beschäftigten optimal einzusetzen und alles dafür zu tun, ihre Bindung ans Unternehmen zu stärken.
In Sachen Recruiting macht dieser Ansatz sogar doppelt Sinn: Das Potenzial in Ihrem Unternehmen gibt es ja schon, es muss nur noch identifiziert und gefördert werden. Das Beste dabei: Die „verborgenen Potenziale“ kennen schon die Kultur, Traditionen, Arbeitsweisen und die Beschäftigten Ihres Unternehmens. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie gut hineinpassen und sich schneller einfinden, wenn es um neue Verantwortlichkeiten und Positionen auf „vertrautem Terrain“ geht. Führungskräfte müssen also vor allem eins: noch stärker Personal- und Talentmanager werden.
Verborgene Potenziale entfesseln: Strategien gegen den stillen Verlust
Philipp Riedel ist CEO der Personalberatung AVANTGARDE Experts und Experte für Talent Management. Er kennt die Herausforderungen für Betriebe, wenn es darum geht, das volle Potenzial Ihres Personals zu entfalten. Im Interview mit Faktor A erzählt er, wie gerade kleine und mittlere Unternehmen (auch: klein- und mittelständische Unternehmen, kurz KMU) den stillen Potenzialverlust vermeiden können.
Faktor A: Phänomen „Quiet Potential Loss“ – wie kommt es überhaupt dazu?
Philipp Riedel: Die Gründe für ungenutzte Potenziale von Mitarbeitenden sowie eine mögliche Über- oder Unterforderung sind vielschichtig und oft in der Unternehmensstruktur und -kultur verwurzelt: Inadäquate Stellenbeschreibungen entsprechen häufig nicht den tatsächlichen Fähigkeiten und Interessen der Angestellten. Starre Hierarchien und eine restriktive Fehlerkultur ersticken Kreativität und Eigeninitiative. Mangelnde Weiterbildungsoptionen bieten keine Chancen für Mitarbeitende, sich weiterzuentwickeln und an neue Herausforderungen anzupassen. Oder Führungslaufbahnen werden überbewertet und es mangelt an Fachlaufbahnen, wodurch exzellente Fachspezialist*innen in Führungsrollen drängen, die nicht ihren Stärken entsprechen.
Faktor A: Welche Warnzeichen gibt es dafür, dass jemand nicht sein volles Potenzial nutzt?
Philipp Riedel: Ein deutliches Warnsignal ist eine nachlassende Beteiligung und das fehlende sich Einbringen einzelner Mitarbeitender in Besprechungen und Projekten. Auch eine erhöhte Fluktuation oder vermehrte Krankmeldungen können auf einen stillen Potenzialverlust hinweisen.
Faktor A: Welche Gegenmaßnahmen können Arbeitgeber ergreifen?
Philipp Riedel: Um dem entgegenzuwirken, sollten Unternehmen regelmäßige Feedbackgespräche führen. Sie sollten zum (freiwilligen) Bildungsurlaub ermutigen und gezielte, maßgeschneiderte Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, um sowohl individuelle Stärken und Interessen zu fördern als auch fachliche und persönliche Skills, die zu den aktuellen und künftigen Anforderungen im Jobprofil passen. Beschäftigte wissen es zu schätzen, wenn der Arbeitgeber in sie investiert. Das wirkt sich positiv aus – auf Motivation, Leistungsbereitschaft und Bindung. Gerade in KMU sind die Ressourcen oft begrenzt. Es braucht ein Arbeitsumfeld, in dem sich jeder bestmöglich einbringen kann – etwa sorgen flexible Arbeitsmodelle und -zeiten für eine gute Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Zudem tragen individuelle Entwicklungsgespräche wesentlich dazu bei, die vorhandenen Fähigkeiten der Mitarbeitenden weiterzuentwickeln und Potenziale voll auszuschöpfen.
Faktor A: Etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte?
Philipp Riedel: Ja, aber leider häufig zu kurz kommt. Wichtig ist hier auch ein ausgewogener Ansatz: Gesunder Menschenverstand und aufrichtiges Interesse an den Mitarbeitenden sind unabdingbar, um Überlastungen und Unterforderungen zu erkennen und wirksam anzugehen. Jeder Einzelne, ob Arbeitnehmender oder Arbeitgeber, sollte den Anspruch haben, in seiner Rolle das Beste zu geben. Wenn dies aufgrund von Über- oder Unterforderung nicht möglich ist, muss dies offen kommuniziert werden.
Faktor A: Genau dies trauen sich ja viele nicht, womöglich aus Angst vor negativen Konsequenzen?
Philipp Riedel: Eine vertrauensvolle Unternehmenskultur ist natürlich dafür entscheidend, um solche Herausforderungen gemeinsam zu meistern.
Faktor A: Wie gelingt es hier, ein integratives und kreatives Arbeitsumfeld zu gestalten, das den Bedürfnissen aller Mitarbeitenden gerecht wird?
Philipp Riedel: Ein integratives Arbeitsumfeld entsteht durch offene Kommunikation und eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung. Führungskräfte sollten deshalb aktiv zuhören und die Bedürfnisse in ihren Teams ernst nehmen. Kreativität kann gefördert werden, indem Freiräume für neue Ideen geschaffen und Innovationen unterstützt werden – z. B. durch die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams. Flexible Arbeitsmodelle, teambildende Maßnahmen und eine positive Fehlerkultur sind dabei entscheidend.
Faktor A: Teambuilding, d. h. einmal im Jahr Teamtag und dann ist alles gut?
Philipp Riedel: Teambildende Maßnahmen sollten nicht ausschließlich als klassische Events wie Klettergarten oder Floßbau verstanden werden. Vielmehr sind Vertrauen und Nähe im Arbeitsalltag entscheidend und können durch gemeinsame Workshops, Mittagspausen oder kleine Teamrituale gefördert werden. Gerade diese alltäglichen Interaktionen sind für ein gut funktionierendes Team oft viel relevanter als spektakuläre Veranstaltungen. Auch hier spielt die Einstellung jedes Einzelnen eine Rolle: Offener Austausch und die Bereitschaft, die Teamkultur aktiv mitzugestalten, sind unerlässlich, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen und produktiv arbeiten können. In diesem Zusammenhang ist besonders eine agile und dynamische Unternehmenskultur wichtig, vor allem in KMU, die flexibler und weniger hierarchisch strukturiert sind. Solch ein Miteinander ermöglicht es den Mitarbeitenden, sich aktiv einzubringen, ihre individuellen Fähigkeiten optimal zu entfalten und so den Unternehmenserfolg nachhaltig zu sichern.
Faktor A: Woher weiß ich als Arbeitgeber, welche Talente im Team schlummern und wie fördern meine Führungskräfte diese am besten zutage?
Philipp Riedel: Talent Mapping ist ein effektives Instrument, um die Fähigkeiten und Potenziale der Mitarbeitenden zu identifizieren. Dies kann durch regelmäßige Leistungsbeurteilungen und persönliche Gespräche in kürzeren Intervallen geschehen. Das jährliche Mitarbeitendengespräch ist hierfür nicht ausreichend. Interne Weiterbildungsprogramme und Mentoring können dann gezielt eingesetzt werden, um diese Talente weiterzuentwickeln. Führungskräfte sollten eine Kultur der kontinuierlichen Weiterentwicklung fördern und ihren Mitarbeitenden klare Karrierepfade aufzeigen. KMU profitieren dabei besonders von ihren direkten Kommunikationswegen und flachen Hierarchien, die es erlauben, spezifische Weiterbildungsmaßnahmen und die gezielte Förderung von Talenten noch effizienter umzusetzen. Durch den regelmäßigen persönlichen Austausch und individuelle Entwicklungspläne können KMU das Potenzial ihrer Mitarbeitenden so besser nutzen.