„Achtsamkeitsübungen haben einen schnellen Effekt“

Claudia Härtl-Kasulke coacht Führungskräfte im achtsamen Umgang mit sich selbst – ein stärkeres Wohlbefinden führe auch zu einem besseren Gelingen im Beruf.


03.07.2019 - Liane Müller Zimmermann -5 MinutenRichtig führen

Claudia Härtl-Kasulke coacht seit fast 30 Jahren Führungskräfte dabei, bewusster und gesünder mit sich selbst umzugehen. Sie erklärt, warum Achtsamkeit so wichtig für Wohlbefinden und Produktivität im Führungsalltag ist, und wie sie gelingen kann.

Faktor A: Warum ist es heute so wichtig, auf Achtsamkeit im Führungsalltag zu setzen?

Claudia Härtl-Kasulke: Gesundheit und Achtsamkeit sind die Basis für ein gutes Gelingen. Die Realität in den Unternehmen sieht jedoch oft anders aus. Viele Führungskräfte sind hauptsächlich damit beschäftigt, Strategien zu entwickeln, um Veränderungsprozesse voranzutreiben. Dafür schaffen sie die äußeren Rahmenbedingungen. Nur selten wird dabei der Fokus auch auf die mentale Kraft der Führungskräfte und Teams gesetzt, die aus unserer Erfahrung heraus zwei Drittel der gesunden, erfolgreichen und effektiven Umsetzung bewirkt.

Was bedeutet das?

Gerade in Zeiten dichter und komplexer werdender Arbeitsprozesse, in Zeiten von Digitalisierung, Automatisierung und demografischem Wandel, wird es für Manager und Führungskräfte immer wichtiger, bei sich selbst zu sein, sich achtsam wahrzunehmen und zu fokussieren. Das fördert auch in herausfordernden Situationen die Klarheit, die in der ganzen Komplexität verloren gehen kann. Wir können die globalen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen, haben meist keinen Einfluss auf die Rahmenbedingungen unserer Arbeit – aber wir können unsere Einstellung dazu verändern. Es liegt an uns, ob wir das Arbeitsleben als stressig oder als herausfordernd, oder gar freudvoll wahrnehmen.

Wie gelingt ein achtsameres Arbeitsleben?

Zum Beispiel mit kleinen ein- bis dreiminütigen Übungen, die sich leicht erlernen und in den Alltag integrieren lassen. Die Wirkung ist direkt spürbar. Dafür ist es wichtig, das kurze Innehalten im Moment zu praktizieren. Eine kurze Pause vom Kopfkino, das mich Minute für Minute begleitet und alles kommentiert: „Das klappt sowieso nicht“, „Ist nicht machbar“, „Zu wenig Zeit“. Diese Sätze rauben unmerklich Kraft und sind Impulsgeber für Stress. Sie verhindern den Blick auf unsere Stärken, Potentiale und Erfahrungen. Dabei brauchen wir positive Impulsgeber in stressigen Zeiten um so dringender!

Was ist das Resultat der inneren Einkehr?

Innere Ruhe. Darin liegt die Kraft. Die Beteiligten fahren spürbar ihren Stress runter und merken, dass sie im Umgang miteinander wertschätzender und lösungsorientierter werden und mit Konfliktsituationen besser umgehen können. Sie entwickeln mehr Leidenschaft für ihren Beruf. Die Souveränität, auch herausfordernde Situationen eher als Impuls für Lösungen zu sehen, setzt in diesem Moment ein. Das verändert die ganze Art der Kommunikation, die Haltung, das Handeln. So bauen Führungskräfte Energie und Kraft auf, um herausfordernden Situationen mit ihrem Können zu begegnen.

Wie lassen sich die Übungen in den Alltag integrieren?

Sie nehmen sich mehrmals am Tag eine Minute Zeit, um bewusst auf ihren Atem zu achten – so wie er fließt, ist es okay – und Sie lächeln sich dabei zu. Sie merken schon bald, wie mehr Ruhe in ihren Alltag einkehrt. Oder Sie schreiben sich abends kleine Glücksmomente aus ihrem Alltag auf: In der Bahn hat mich jemand angelächelt, ich bin gesund wach geworden, ich habe in Ruhe Tee genossen, zum Beispiel. Schon nach kurzer Zeit erleben Sie, dass sie immer mehr Momente wahrnehmen, die ihnen Freude bereiten.
Wenn keine Zeit für richtige Pausen ist: Ein paar Minuten Gehmeditation. In quälend langen Sitzungen: unauffällige Atemübungen zum Energie tanken. Es gibt noch zahlreiche weitere Übungen.

In welche Falle tappen Führungskräfte immer wieder?

Sie setzen auf ein zu schnelles Tun, halten zu selten inne. Ich kann effizient und effektiv sein und dennoch dabei innehalten. Es ist wichtig, dass Führungskräfte achtsam vorangehen und ihrem Team mit ihrer Haltung zeigen, was jeder tun kann, um gesünder zu bleiben. Achtsamkeit beginnt bei mir selbst, im Beruf und im Privatleben. Wie gehe ich mit mir und meinem Umfeld um? Wie möchte ich leben? Diese Fragen gehören dazu. Wer sich Zeit nimmt, sie zu ergründen, macht sich und anderen das Geschenk, stressfreier und inspirierter sein Leben zu gestalten. Und das hat Wirkung: auf mich, meine Mitarbeiter und Teams.

Zur Person

Claudia Härtl-Kasulke

Claudia Haertl-Kasulke
© privat

Dr. Claudia Härtl-Kasulke ist Inhaberin von bk+k Beratung Kultur + Kommunikation und begleitet seit fast 30 Jahren gemeinsam mit ihrem Team Menschen in Strategieentwicklungs- und Veränderungsprozessen sowie beim Gesundheitsmanagement.

Erfahrungsbericht

Achtsamkeit im Unternehmensalltag

Bärbel Simon, Leiterin des Diakonischen Werks Odenwald, über ihre Erfahrung mit dem Achtsamkeits-Coaching

„Ich habe Achtsamkeit nebenbei kennengelernt. Vor fünf Jahren hatten wir vor, verstärkt ins betriebliche Gesundheitsmanagement einzusteigen. Gleichzeitig stellten wir fest, dass wir dringend einen Strategieprozess brauchten. Unsere Beraterin Frau Härtl-Kasulke hatte eine ungewöhnliche Idee: Wir haben Gesundheitsmanagement und Strategie miteinander verbunden und Achtsamkeit und Resilienz in diesen Prozess einbezogen.

Wir sind der soziale Dienst der Evangelischen Kirche für unseren Landkreis. Unser Ziel ist es, Menschen zu stärken, individuell und in ihrem Umfeld. Um das bei schwieriger werdenden Rahmenbedingungen auch zukünftig erreichen zu können, brauchten wir neue Ansätze. Die größte Herausforderung in meinem Job ist vermutlich der ständige Wechsel, bei dem wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter permanent mitnehmen müssen. Dazu kommt eine ansteigende Arbeitsverdichtung für alle, die auch daher rührt, dass die Refinanzierung sozialer Arbeit nicht in dem Maß wächst wie die Personalkosten. Im Coaching haben wir eine Strategie entwickelt, die ein ausgewogenes Verhältnis von Mitarbeitenden-Gesundheit, Expertentum und Wirtschaftlichkeit beinhaltet.

Bärbel Simon von der Diakonie
© privat - Bärbel Simon

Die Gesamtstrategie hat recht kurzfristig Erfolge gebracht. Interessant ist, dass sich mit der Zeit auch der Umgang miteinander verändert. Der Ton war früher rauer, es gab mehr Missverständnisse. Als wir mit unserem Prozess starteten, gab es eine „Versäulung“ der verschiedenen Arbeitsbereiche. Jeder schaute nur nach sich. Inzwischen gibt es eine gute Zusammenarbeit und viel gegenseitige Unterstützung. Auch die Teambesprechungen sind deutlich weniger angespannt. Wir nutzen jetzt oft eine Methode, die wir achtsames Team nennen. Dazu gehört zum Beispiel, dass jemand aus dem Team bewusst die Aufgabe übernimmt, darauf hinzuweisen, wenn es unsachlich oder verletzend wird. Aber nicht selten bauen wir auch bei Bedarf eine Achtsamkeitsübung ein.

Ich setze Achtsamkeit bei wichtigen Führungsentscheidungen bewusst ein. Zum Beispiel bei einer Fallbesprechung unter Kolleginnen und Kollegen. Nachdem jemand einen Fall dargestellt hat, gehen wir nicht gleich in eine Diskussion, sondern schauen, welche Bilder in uns hochkommen. Diese inneren Bilder lassen wir ins anschließende Fachgespräch einfließen. Damit finden wir sehr tragfähige Lösungen.

Vor einiger Zeit war ich mit einer Kollegin im Gespräch mit einem potenziellen Kostenträger, bei dem der Verhandlungspartner ständig Überlegenheit signalisierte. Nach dem Gespräch sagte meine Kollegin: „Wow, das war gerade ein gutes Beispiel für resilientes Verhalten.“ Wir hatten uns nicht provozieren lassen, sondern die Sache mit etwas Abstand betrachtet und nicht bewertet. So konnten wir die Situation mit Humor nehmen und das Gespräch sogar mit einem positiven Kontakt zum Gesprächspartner beenden. Achtsamkeit und Resilienz gehören für mich zusammen.“


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