16.03.2016 - Esther Werderinghaus -5 MinutenRichtig führen
Renate Herre hatte nicht von vornherein den Plan, eine Führungsposition zu übernehmen. Die Chefin des Carlsen Verlags ist in die Rolle hineingewachsen und hat viel gelernt – gerade auch, warum es wichtig ist, seinen Angestellten zuzuhören.
Irgendwann wollte sie nicht mehr. Wollte weg von der Routine, Veränderung wagen. Renate Herre war 40, kündigte ihren Job in einer Führungsposition beim Verlag Ravensburger, nahm ihren Rucksack und flog für sechs Monate nach Indien. „Diese Zeit hat viel mit mir gemacht“, sagt sie und erinnert sich, wie klein und unbedeutend sie sich in dem faszinierenden und bedrückenden Land fühlte. Und wie weit sie diese Monate in ihrer Entwicklung gebracht haben – und in ihrer Vorstellung davon, was ihr Traumberuf ist.
Sie hat ihn gefunden – in einer alten Maschinenfabrik in Hamburg Ottensen. Kinderbücher werden hier verlegt, die weltweit bekannt sind, darunter J. K. Rowlings Harry-Potter-Romane, Stephenie Meyers Vampirgeschichten, die Pixi- und Petzi-Bücher. Renate Herre ist hier die Verlagsleiterin.
Die 51-Jährige hat bei Carlsen ein schweres Erbe angetreten. Als sie 2012 an die Spitze rückte, hatte sich ihr Vorgänger die Rechte an Harry Potter gesichert, den Jahresumsatz auf mehr als 53 Millionen Euro vervier- und die Zahl der Mitarbeiter auf 115 verdreifacht. Herre traf auf eine eingespielte und erfahrene Mannschaft. Und nun kam sie, die Neue, die nicht alles neu, aber vieles anders machen wollte.
Herre macht Carlsen digital
Sie hat etwas Warmes an sich, man kann sie sich als Vorleserin für Kinder vorstellen, doch eine gemütliche Märchentante ist sie nicht. Die Betriebswirtin war Spieleentwicklerin, 20 Jahre lang Geschäftsführerin des Kinder- und Jugendbuchverlags Ravensburger und Verlagsleiterin von Coppenrath. Ihr Anspruch: Carlsen ins digitale Zeitalter navigieren. Apps und E-Books entwickeln, mit Self-Publishern im Internet kooperieren.
Die Anfangszeit war geprägt von einem intensiven Austausch. Herre traf sich mit jedem Programmleiter, hörte zu, fragte nach den Besonderheiten, Schwierigkeiten, Stärken. Mangas etwa waren ganz neu für sie. „Um etwas zu verändern, darf man sich nicht zu schade sein zuzugeben, dass man dazulernen muss“, sagt Herre.
Zitat:„Um zu verändern, darf man sich nicht zu schade sein zuzugeben, dass man dazulernen muss.“
Renate Herre
Neben allen Fakten und Zahlen ist ihr das Zwischenmenschliche sehr wichtig. „Mich interessiert, was für ein Typ Mensch jemand ist, wie er arbeitet, was ihn auszeichnet.“ Ernüchternd war in ihrem Antrittsjahr 2012, dass es zu etlichen Budgetkürzungen kam. Herre musste viel Überzeugungsarbeit leisten. „Diese Gespräche können auch mal sehr hitzig sein“, sagt sie. „Es war ein anstrengendes erstes Jahr.“
Sie weiß, wie wichtig es ist, ein gutes Verhältnis zu den Angestellten zu haben. Als Führungskraft wird man nicht geboren, sagt sie und erinnert sich, wie sie vor vielen Jahren von der Spieleredakteurin Ravensburger zur Geschäftsführerin aufstieg. „Das war toll – und auch schwer. Ich musste die Ziele des Vorstands erfüllen und konnte nicht mehr so offen mit den Kollegen sein, das war unvermeidbar, fühlte sich aber unangenehm an.“ Als der Verlag restrukturiert wurde, musste sie auch Leute entlassen. „Da hatte ich schlaflose Nächte, in denen ich mich fragte, ob ich nicht etwas ganz anderes machen soll.“ Bei Ravensburger blieb sie 20 Jahre. Dann kam Indien.