10.08.2011 - Redaktion Faktor-A -6 MinutenRichtig führen
Change Management gilt als Allheilmittel für Veränderungen in Unternehmen, vom Stellenabbau bis zum Börsengang. Psychologische und kreative Ansätze liefern dabei wirksame Möglichkeiten, die Belegschaft zu überzeugen.
Die Zeit, als nichts mehr ging, hat Marion Scheuer-Leeser gerade hinter sich. Die einheitlichen Qualitätsstandards, den die oberste Qualitätsmanagerin für die 33 Forschungsinstitute und 6.500 Beschäftigten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) einführen will, lehnten viele Wissenschaftler ab. Bei den regelmäßigen Sitzungen herrschte Blockadestimmung: Viele der mehr als 40 Qualitätsbeauftragten der Institute beantworteten lieber E-Mails auf ihrem Smartphone oder schauten aus dem Fenster, anstatt mitzuarbeiten. 40 Prozent der DLR-Institute wollten sich den ISO 9001-Standard für Qualitätsmanagement partout nicht überstreifen lassen. Scheuer-Leeser muss nämlich jedes der selbständigen Institute, ob Planeten-, Raumfahrt- oder Werkstoffforscher, überzeugen, die Qualitätsstandards regelmäßig zu dokumentieren und nach international anerkannten Normen zertifizieren zu lassen. Und das innerhalb von zwei Jahren, so will es ein DLR-Vorstandsbeschluss.
Change Management, der Oberbegriff, unter den alle Bemühungen fallen, radikale Kursänderungen in den Abläufen eines Unternehmens den Beschäftigten schmackhaft zu machen, wäre vonnöten gewesen. „Manche Wissenschaftler fürchten, dass die Norm ihre Kreativität einschränkt“, sagt Scheuer-Leeser. Sie wusste, dass ein übliches Change-Management-Konzept einer Unternehmensberatung für ihren Fall sinnlos wäre. Sie musste Interesse wecken und die Akzeptanz für Qualitätsmanagement grundlegend verbessern.
Was macht ein Facilitator?
Scheuer-Leeser holte einen Begleiter in den Qualitätsmanagement-Arbeitskreis – in der Fachwelt „Facilitator“ genannt. Der Berater mit einer psychologischen Fortbildung sollte die Veränderungen anleiten, ohne lange Strategiekonzepte zu verfassen. Er schaute in den Sitzungen zunächst einmal nur zu und analysierte, was die Zusammenarbeit bisher blockierte. Fazit: Es fehlte an Kreativität und Mitsprachemöglichkeiten.
Der Facilitator stellte Sitzordnungen um, führte neue Vortragstechniken ein und schulte Moderatoren aus den Reihen der Teilnehmer. „Anfangs war ich skeptisch, ob der Ansatz der Facilitatoren tatsächlich wirkt“, meint Scheuer-Leeser. „Aber er funktioniert sehr gut.“ Die Qualitätsbeauftragten seien jetzt motiviert, die Normen umzusetzen, die Sitzungen seien derzeit lebendig wie nie.
Wie verbreitet ist Change Management in Deutschland?
Ungewöhnliche Konzepte für Change Management, wie der psychologische Ansatz der Facilitatoren, sind in Deutschland noch die Ausnahme. Das liegt auch an den Kostensenkungsprogrammen der Krisenjahre 2009 und 2010: Geht es um Jobabbau, werden in den Unternehmen gern konservative Methoden wie Vorstands-Ansprachen vor leitenden Angestellten und schriftliche Informationen für die Belegschaft genutzt. Mehrheitlich wurden Change-Management-Konzepte in den vorigen Jahren für Restrukturierungen eingesetzt. Das ergab eine Studie von Capgemini Consulting. Wachstumsinitiativen oder veränderte Unternehmensstrategien machen laut der Studie nur rund 35 Prozent der Veränderungen in einem Unternehmen aus.
Dennoch: Der Trend zu neuen Methoden im Veränderungsmanagement hält an, stellt Anne Theis, Change-Management-Beraterin bei Capgemini, fest. Auch wenn immer das schnelle Erarbeiten einer „Change Story“ – einer plausiblen Botschaft für die Organisation, warum Veränderungen anstehen – im Mittelpunkt steht. Nicht zu vernachlässigen sei dabei auch die persönliche Kommunikation des Vorstands mit seinen leitenden Angestellten und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Schließlich drohe beim Wandel in Unternehmen immer auch die „innere Kündigung“, also die Verweigerung von Beschäftigten, und damit sinkende Produktivität. „Das gilt es zu verhindern“, sagt Theis. „Bei einem Neustart im Unternehmen sind zum Beispiel spielerische Elemente gut, da verlangen die Mitarbeiter geradezu nach dem Besonderen.“ Das Kreative hält Einzug in die Change-Management-Kultur: „Es gibt kein Standardvorgehen für Change-Management-Prozesse, das ist für jedes Unternehmen individuell“, sagt die Beraterin.
Wie soll ein Theaterstück den Veränderungsprozess unterstützen?
Dazu kann auch eine Theaterinszenierung gehören, bei der Schauspielerinnen und Schauspieler eigens für den Veränderungsprozess geschriebene Szenen aufführen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen sich verstanden wissen. Theater schärft und verschlankt Botschaften, die Nachricht spricht mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf, wie die auf Tagungen üblichen Präsentationsfolien. Dass bei Change-Management-Projekten die Wahrnehmung der Mitarbeitenden nicht zu kurz kommen sollte, ist jedoch besonders nach den konjunkturell schlechten Jahren harte Überzeugungsarbeit für das Unternehmenstheater Scharlatan. Nicht jede Führungskraft sieht ein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kreativen Prozessen schneller für den Wandel gewonnen werden können. Die Hamburger Truppe hat sich auf Theater spezialisiert, das Veränderungen in Unternehmen erleichtern soll. „Wenn wir den richtigen Impuls setzen, dann können wir den angestrebten Change-Prozess verstärken und auch den Weg für weitere Veränderungen ebnen“, erklärt Ali Wichmann, einer der Gründer des Theaters. Sein erster großer Kunde war 1984 die Stadtreinigung West-Berlin, die plötzlich Konkurrenz von einem privaten Anbieter bekam. 700 Straßenkehrer wurden damals von Scharlatan geschult und lernten in Seminaren, kundenfreundlich zu sein und die Sympathie der Passanten zu gewinnen. Auch die Hamburger Stadtreinigung bestellte anschließend die Dienste der Theatertruppe.
Vergangenes Jahr rief ein Investmenthaus Scharlatan zur Hilfe: Die Dramaturgen und Schauspieler sollten die Gefühlslage der Privatkundenberater der Bank nach der Finanzkrise und den verschärften gesetzlichen Beratungsvorgaben spiegeln und sie motivieren, mit kritischen Kunden und schwierigeren Marktbedingungen zurechtzukommen. Vier Darsteller spielten Bankberater, die gleichzeitig Mitglieder einer Band sind: So ließen sich Musik und Humor einflechten, um Blockaden bei den Mitarbeitenden zu brechen. Die Charaktere geben die Bandbreite der Ansichten innerhalb des Teams wieder: Ein Dynamiker trifft auf einen Bremser, ein Skeptiker auf eine Angepasste. Auch unternehmenskritische Phrasen wie „Provisionsgier frisst Hirn“ können auf der Bühne offen ausgesprochen werden.
Kann „Crowd Sourcing“ zu positiven Veränderungen beitragen?
Verständlich, dass klassische Workshops bei Beschäftigten, die einmal mit solch unterhaltsamen Methoden in Berührung gekommen sind, „Gruseln“ vor langweiligen Vorträgen auslösen. Fabian Brandt, Managing Director der Kommunikationsberatung Fischer Appelt Advisors, setzt bei Veränderungsprozessen deshalb auf neue Mittel, um die Mission Veränderung allen Kolleginnen und Kollegen nahe zu bringen – auch bei ganz banalen Problemen. Zum Beispiel mit „Crowd Sourcing“: Der Ansatz, der im Internet für das Einsammeln von Informationen steht, die verschiedene Nutzer auf einer Kommunikationsplattform zusammentragen, lässt sich auch auf Firmen übertragen. Im Intranet konnte Brandt so die Umbenennung eines Konzerns unterstützen. 70.000 Schilder rund um den Globus an Büros und Fabriken auszutauschen, ist normalerweise ein langwieriges Unterfangen. Der Trick: Die Beschäftigten des Konzerns sollten in den vielen Niederlassungen nach alten Firmenlogos Ausschau halten, den Standort nennen, sie fotografieren und die Fotos auf einer Intranet-Seite des Konzerns hochladen. Dafür winkten Belohnungen – und das alte Logo konnte zügig ausgetauscht werden.