07.06.2017 - Redaktion Faktor-A -4 MinutenRichtig führen
Der Unternehmensgründer Hermann Arnold übergab seine Führungsposition beim Software-Hersteller Haufe-umantis an einen Kollegen, der einmal sein Praktikant war. Der 42-Jährige hatte erkannt, dass er sich zum Führen in der nächsten Phase des Unternehmenswachstums nicht eignet – und ist seitdem erfolgreicher denn je.
„Manche Chefs unterliegen früher oder später der Illusion, sie seien die Besten, Schnellsten und Klügsten. Als ich mein Unternehmen umantis 13 Jahre lang führte, hielt ich mich zwar nicht für unersetzlich, doch bei Gründern ist die Gefahr groß, dass sie sich für zu wichtig halten und damit die Entwicklung des Unternehmens gefährden. Eine Zeit lang saß ich auf einem einfachen Holzstuhl, um mir und den Mitarbeitern zu beweisen, dass ich mich nicht für etwas Besseres hielt. Einige wussten noch Monate nach Eintritt ins Unternehmen nicht, dass ich ihr Chef bin. Ich fragte mich jedes Jahr, ob ich noch der richtige Chef für die zukünftigen Herausforderungen bin. Irgendwann merkte ich, dass es einen anderen in unserem Unternehmen gab, der besser geeignet war.
Damals leiteten mein Kollege Marc Stoffel und ich jeweils ein zeitkritisches Projekt. Ich bin der klassische Gründer, der vorangeht und sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel bahnt. Aber es braucht auch Typen, die den Weg wesentlich breiter machen. Ich erledigte in der Projektphase viel selbst und achtete darauf, meine Leute nicht zu überfordern. Marc Stoffel mutete seinem Team unheimlich viel zu. Das war überhaupt nicht mein Stil. Das Ergebnis: Stoffel war nach innen gesehen wesentlich erfolgreicher – und sein Team war stolz auf die Leistung. Ich hatte mein Team durch Rücksicht kleingehalten – und mir wurde bewusst, dass das auch generell meine Haltung in der Unternehmensführung war.
Zitat:„Ich bin der klassische Gründer, der vorangeht und sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel bahnt.“
Warum versuchte ich nicht, mich zu verbessern? Es war vermutlich die größte Herausforderung meiner Karriere, zu erkennen, dass ich das nicht will. Denn das war ich nicht, und das wollte ich auch nicht sein. Ein anderer macht es besser, warum soll ich mich verbiegen? Ich sah es als Chance für das Unternehmen und für mich, zurückzutreten. Ich wollte meinen Nachfolger unterstützen. Ich wäre weiterhin im Team und könnte ihm offenes Feedback geben – das ist viel wert für einen neuen Firmenchef.
Rücktritt kann das Unternehmen voranbringen
Nach einer 100-tägigen Auszeit vom Unternehmen hatte ich eine neue Rolle angenommen. Es war interessant zu sehen, was sich nun veränderte. Kurz bevor Marc Stoffel die Leitung übernahm, hatten wir ein Treffen mit zwei potenziellen Partnern. Erst redeten beide nur mit mir und beachteten ihn kaum. Dann erwähnten wir den bevorstehenden Wechsel, und plötzlich änderte sich die Situation: Da hätte ich den Raum verlassen können, ohne dass es ihnen aufgefallen wäre. Das war ernüchternd, aber es zeigte mir: Ob wir Gehör finden oder nicht, hängt stärker von unserer Rolle als von unserer Persönlichkeit ab. Als Chef sollte man sich das immer klarmachen. Eines Tages fragte mich mein Nachfolger, warum viele Projekte ohne ihn nicht vom Fleck kämen. „Das hat weniger mit deiner Intelligenz zu tun als damit, dass du CEO bist und die Mitarbeiter von dir Entscheidungen erwarten“, gab ich ihm zu bedenken.
Zitat:„Ob wir Gehör finden oder nicht, hängt stärker von unserer Rolle als unserer Persönlichkeit ab.“
Ich stieß nicht immer auf Gegenliebe mit meiner Entscheidung, den Chefposten abzugeben. Im Rahmen einer Konferenz in Berlin stellte ich mich als Ex-CEO vor. Schon während des Redens schalteten die meisten Zuhörer innerlich ab. Ich sagte, dass ein zeitweiliges Zurücktreten sowohl die Führungskraft als auch das Unternehmen voranbringt, aber diese Botschaft ist nicht wirklich angekommen.
Zurücktreten ist kein Gesichtsverlust
Es gibt so viele veraltete Vorstellungen über Führung: etwa, dass man ein Berufsleben lang nur aufsteigt oder sich obenhält. Oder dass nur Chefs richtig gut verdienen. Ein differenzierteres Karriereverständnis und ein weniger rigides Lohngefüge würden auch das Problem entschärfen, dass Angestellte über 55 oft kaum mehr eine Chance haben. Die männlichen Zuhörer meines Vortrags verließen den Raum, als hätte ich einen Virus. Nur ein paar Frauen kamen später auf mich zu und gratulierten mir zum Mut, über meine Niederlage zu reden.
Aber es tut sich was. Lufthansa hat entschieden, Führungspositionen nur noch temporär zu besetzen. In Vereinen und Freiwilligen-Organisationen ist das Zurücktreten ins Glied schon lange akzeptiert. Auch im Unternehmen Haufe-umantis hat sich etwas in den Köpfen der Mitarbeiter verändert. Dort haben mehr als zehn Leute ihre Führungsverantwortung abgegeben und wieder Projektaufgaben übernommen – das begann sogar schon vor mir. Eine von ihnen erntete sogar stehenden Beifall an einem unserer Strategie-Wochenenden. Das Zurücktreten ist nicht leicht. Oft fließen Tränen, aber wir müssen lernen, dass so ein Schritt kein Gesichtsverlust ist. Diese Mitarbeiterin wird später wieder Führungsaufgaben übernehmen – davon bin ich überzeugt –, und sie wird es dann noch viel besser machen.“