27.09.2017 - Esther Werderinghaus -7 MinutenRichtig führen
Veränderung macht Angst – und aus Angst entstehen oft Konflikte: Als ehemalige Führungskraft und Expertin für Veränderungsprozesse weiß Claudia Schmidt, wie sich Spannungen vermeiden lassen.
Veränderung macht Angst – und aus Angst entstehen oft Konflikte: Als ehemalige Führungskraft und Expertin für Veränderungsprozesse weiß Claudia Schmidt, wie sich Spannungen vermeiden lassen.
Konflikt 1
Ein Klassiker. Die Entscheider glauben, dass die Fusion den Mitarbeitern nicht schadet. Sie glauben, dass es positiv ist, dass die meisten ihre Jobs behalten können und dafür einfach nur an einen neuen Firmenstandort ziehen müssen. Aus ihrer Perspektive sichern sie ihnen die Existenzgrundlage.
Aus Perspektive der Arbeitnehmer sieht es nicht so positiv aus: Es macht für sie einen Unterschied, ob sie ihren Wohnort verlassen müssen. Ein ganzer Rattenschwanz an Logistik hängt an solchen Entscheidungen. Welche Einschränkungen erfahren sie durchs Pendeln? Wie oft sehen sie dann ihre Familie? Kommt die Familie mit, oder ist der Partner beruflich auf den Standort festgelegt? Eine Angehörige muss versorgt werden, wie soll das gehen?
All diese Fragen kommen in der Lebensrealität der Entscheider meistens nicht vor. Sie verstehen nicht, warum die Leute sich schwertun, wenn doch überall Arbeitsplätze abgebaut werden. Der Konflikt liegt also genau hier. Meistens werden Standortfusionen über die Arbeitnehmervertretung geregelt. Die Verhandlungen mit der Arbeitgebervertretung ziehen sich häufig lange hin, und diese unsicheren Zeiten belasten die Mitarbeiter. Sie werden in keinen Dialog involviert. Dabei brauchen sie jetzt umso mehr Ansprache und Mitsprache!
Die Lösung wäre, ihnen regelmäßig ganz verschiedene Fragen zu stellen: Wenn ihr das hört, was bewegt euch? Welchen Rahmenbedingungen seid ihr ausgesetzt, wie seid ihr familiär eingebunden? Die Entscheider sehen dann, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie entweder locker damit umgehen – oder dass sich bei manchen Skepsis breitgemacht, eventuell sogar Wut aufgestaut hat. Oft erstaunt es Führungskräfte, wenn sie hören, wie sehr sich die Mitarbeiter mit ihrem Standort identifizieren. Sie haben dort etwas aufgebaut und sehen nicht ein, warum man das wegschmeißen soll.
Nur im Dialog ergeben sich die brisanten Fragen, und nur wenn beide Seiten mehr über den Veränderungsprozess wissen – und die individuellen Auswirkungen –, finden sich Lösungen. Die müssen gar nicht mal riesengroß sein. Manchem reicht es schon, wenn etwas Hilfe bei der Wohnungssuche geleistet wird oder teilweise Homeoffice möglich ist oder Ähnliches.
Konflikt 2
Wie kann ich die Mitarbeiter in diesem schwierigen Prozess begleiten? Einfach kündigen und raus – das setzt nur negative Signale. Auch für die Kollegen, die noch bleiben dürfen. Die schauen sich nämlich ganz genau an, wie mit Leuten umgegangen wird, die keinen Platz mehr in der Firma haben. Sie identifizieren sich mit diesen Kollegen und entwickeln im schlimmsten Fall eine Antihaltung dem Arbeitgeber gegenüber.
Auch kleine Unternehmen können etwas dafür tun, dass die Leute nicht völlig gebrochen auf der Straße landen. Wie kann ich einen Kollegen weitervermitteln? Gerade sie sind gut verzahnt mit anderen, mit IHK oder Handwerkskammer. Die pflegen ihre Netzwerke und haben oft einen persönlicheren Draht zu den Entscheidern als große Unternehmen. Sie können ihren Mitarbeitern gute und ganz persönliche Tipps mit auf den Weg geben: Achte beim Unternehmen XY auf das und das; der Meyer tickt so und so, auf das und das musst du bei Personaler Schmidt achten. Das hilft nicht nur dem Arbeitssuchenden, sondern schafft ein positives Image innerhalb – und außerhalb des Unternehmens.
Aus Erfahrung weiß ich, dass diese Phasen sehr sensibel sind und dass Führungskräfte leider gerade dann nicht besonders auf ihre Außenwirkung achten. Ein typisches No-Go ist es, ausgerechnet in diesen Zeiten mit dem neuen Dienstwagen vorzufahren. Mir wurde da schon oft gesagt: „Aber die S-Klasse hatte ich schon vor zwei Jahren bestellt.“ So nach dem Motto: Das kann ich nicht rückgängig machen. So etwas sollte durch mehr Selbstreflexion vermieden werden.
Konflikt 3
Die Firma wechselt den Inhaber. Was ist mein Ziel als neuer Inhaber? Mal unterstellt, es handelt sich um keine feindliche Übernahme. Was habe ich vor? Was wird sich ändern? Was wird bleiben? Was sind die Konsequenzen? Was sind meine Erwartungen als neuer Firmeninhaber?
Das muss ich den Mitarbeitern erst mal alles sagen, aber: Nur erzählen reicht bei Weitem nicht. Was kommt denn bei den Zuhörern an, was verstehen die, und wie verstehen die etwas? Oft kommt es zu Missverständnissen, wenn nur über Strategien und Vorhaben referiert wird und erst mal gar kein Dialog mit der Belegschaft stattfindet. So holt man niemanden ab.
Im Dialog mit den Mitarbeitern muss erst mal klargestellt werden, dass nicht alles von „damals“ schlecht war. Dass man viel Wert auf die Arbeitskräfte und ihre langjährige Expertise legt und ihren Rat für wichtig hält bei der Umstellung auf neue Prozesse. Das holt dann schon mal Befürworter ins Boot, die zu wichtigen Multiplikatoren werden können. Die vermitteln irgendwann zwischen Führung und Mitarbeitern!
Ich finde es bei Inhaberwechseln auch immer wichtig, in regelmäßigen Abständen kurze Mitarbeiterbefragungen durchzuführen. Wie überzeugend finden Sie die Maßnahmen? Welche Konsequenzen sehen Sie darin? Das ist dann transparent für alle Seiten. Mitarbeiter erfassen, was das für sie bedeutet, und können besser im Dialog mit der Führungskraft darauf reagieren. Die Resonanz wird nicht immer positiv sein. Wichtig ist, nicht beleidigt zu reagieren, sondern zu schauen, was helfen könnte.
Konflikt 4
Mitarbeiter können das nicht alles sofort, sie machen Fehler. Neue Abläufe müssen erlernt werden. In solchen Zeiten leidet die Produktivität. Diese Phase muss man einkalkulieren und aushalten können. Ein großer Fehler wäre es, den Mitarbeitern zu suggerieren, dass sie zu wenig performant sind. Davor haben sie am meisten Angst. Die meisten definieren sich darüber, dass sie ihre Arbeit gut machen.
Dadurch, dass der Betrieb eine Zeit lang eine größere Fehlerquote und eine geringere Produktivität „erlaubt“, entlastet er die Mitarbeiter und gibt ihnen Raum zu lernen. Dadurch wird ihnen signalisiert, dass man an sie glaubt und die Situation realistisch einschätzt. Bei solchen Umstellungen ist es eher kontraproduktiv, den Mitarbeitern viele Veränderungsprozesse parallel und mit straffer Timeline aufzubürden.
Besser ist es, Umstellungen so klein wie möglich zu gestalten. Manchmal ist es stückweise aufbauend möglich: drei Wochen Routine X, dann sechs Wochen Y, dann acht Wochen Z. Das geht nicht immer! Aber generell sollte man die Scheiben etwas kleiner schneiden. Bei Schülern bleibt auch nichts hängen, wenn man ihnen zu viel Lernstoff auf einmal aufdonnert.
Konflikt 5
Ich habe vor vielen Jahren als Führungskraft mal ein Desaster ausgelöst. Ich war mit einer Kollegin auf Dienstreise. Danach duzten wir uns. Ich duzte mich mit niemandem in meinem Verantwortungsbereich. Dass ich es nur bei ihr tat, hatte eine wahnsinnige Auswirkung. Irgendwann wurde die Kollegin befördert. Da kam eine andere Kollegin völlig erbost auf mich zu. Sie war fest davon überzeugt, dass das vertrauliche Duzen dazu geführt hat, dass die andere befördert wurde und nicht sie. Das war Unsinn, denn ich selbst hatte sie ja nicht befördert und wusste nicht mal davon. Aber das bekam ich aus ihrem Kopf nicht mehr raus.
Ich habe mir nichts beim Duzen gedacht, und diese Nichtreflexion hat eine Konkurrenzsituation ausgelöst. Jemand fühlte sich benachteiligt. Auch wenn es blöd klingt, aber ich hätte das Du frühzeitig in meiner Abteilung kommunizieren müssen. Das hätte vieles entschärft. Ich will damit sagen, dass man als Führungskraft oft Konkurrenz und Konflikte unter Mitarbeitern unbewusst fördert.
Dann gibt es aber auch Situationen, in denen die Mitarbeiter sich einfach nicht ausstehen können. Mehrere Lösungen sind denkbar: Die Streitparteien werden in verschiedene Abteilungen aufgeteilt, oder ihnen wird ein gemeinsames Projekt gegeben, bei dem sie nur mit guter Zusammenarbeit erfolgreich sein können. Oftmals verbessern solche Brückenerlebnisse eine verfahrene Situation so erstaunlich gut, dass sich eine Trennung vermeiden lässt. Doch bei allem Engagement um Harmonie: Bitte kein Zwangscoaching einführen! Ich musste einmal als Führungskraft nach so einem Coaching mit einem Kollegen einige Monate lang regelmäßig Bier trinken gehen. Das hat absolut nichts gebracht. Heute kann ich zum Glück darüber lachen.
Zur Person
ist Expertin für Veränderungsmanagement und Geschäftsführerin der Beratungsfirma Mutaree. Nach Stationen in Marketing, Verwaltung und Organisation war sie auch Leiterin des strategischen Qualitätsmanagements und Personalmanagements in einem Unternehmen. Heute berät sie Unternehmen bei Changeprozessen.