Hirnforscher Gerald Hüther hat das Prinzip des "Supportive Leadership" entwickelt. Im Video-Interview gibt er Tipps für den Alltag als Führungskraft.
14.06.2016 - Michael Prellberg -10 MinutenRichtig führen
Unser Gehirn braucht Herausforderung, um nicht zu verkümmern, sagt Gerald Hüther. Für den Alltag von Führungskräften in Unternehmen hat der Neurobiologe das Prinzip des „Supportive Leadership“ entwickelt. Im Faktor-A-Video-Interview erklärt er das Prinzip.
Gerald Hüther erklärt das Prinzip des "Supportive Leadership"
Faktor-A-Leser haben Probleme aus ihrem Alltag als Führungskraft geschildert und Fragen gestellt – und Gerald Hüther hat sie beantwortet. Hier finden Sie die Sammlung der Videos mit den Tipps des Hirnforschers.
Faktor-A-Leserin „AnNa“ fragt: Ein Team zusammenzuführen ist eine komplizierte Angelegenheit. Da gibt es viele unterschiedliche individuelle Persönlichkeiten zu bedenken. Das Schöne bei uns ist: die meisten Mitarbeiter wollen gern in einer freundlichen Atmosphäre ihr Bestes geben, stehen voll hinter dem Unternehmen und leisten hochmotiviert hervorragende Arbeit.
In jeder Gruppe ist leider immer wieder wenigstens eine Person dabei, die sich nicht integriert, folglich sich nicht integriert fühlt. So meine Erfahrung aus verschiedenen Führungsaufgaben. Wie motiviere ich einen notorischen Schwarzseher, der nur Kritik vermerkt und Lob als selbstverständlich wegsteckt, der davon überzeugt ist, dass er der Einzige ist der gute Arbeit leistet, seine Kollegen für Drückeberger und Lohnempfänger hält?
Faktor-A-Leser „JKrug“ fragt: Wir sind ein inhabergeführtes technisches Büro mit vielen hochtechnisch ausgebildeten Mitarbeitern. Unser Inhaber/Geschäftsführer möchte gern Verantwortung abgeben und fordert immer wieder Mut von den Mitarbeitern ein, Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig sagt er dazu, dass Fehler als Chance begriffen werden müssen und keine Angst entstehen darf, welche zu machen. Auch hat er unserem Team mit einem Kreativ-Raum (ein Raum zum kreativen Denken und Arbeiten) einen realen Freiraum geschaffen, um Aufgaben mal auf andere Art und Weise anzugehen, als immer nur in der gewohnten Weise am Schreibtisch.
Nun kommen die Mitarbeiter dennoch nicht aus der Deckung, zögern oder weigern sich geradezu, Verantwortung zu übernehmen. Und das, obwohl sie nahezu an die Hand genommen werden. Sie verlangen dann nach „standardisierten Strukturen“ oder „ordentlichen Prozessabläufen“. Aber das sollte doch nur schmückendes Beiwerk und nicht die Grundlage von Entscheidungswegen sein! Zumal wir bereits Strukturen und Prozesse entwickelt und etabliert haben, bis hin zur ISO Zertifizierung.
Was können wir tun, damit die angebotene Freiheit zur Mitentscheidung und Verantwortung auch angenommen wird?
Faktor-A-Leser Jaki fragt: Unser Familienunternehmen hat (noch) eine schöne überschaubare Größe von 60 Mitarbeitern. Bei bis zu 30 Mitarbeitern konnte ich noch alle persönlich oder mit Aktionen und Angeboten erreichen. Eine gute Stimmung war leichter zu halten und es war selbstverständlich, dass der Mitarbeiter von sich aus mit anpackt und mitzieht.
Jetzt gibt es immer mehr Mitarbeiter – nicht nur Angehörige der Generation Y – die gerne nörgeln oder schlechte Laune verbreiten. Es gibt bei diesen Mitarbeitern – auch an guten Dingen – immer was zu meckern. Weder als Teamleiter noch als Geschäftsleitung hat man das Gefühl, an diese innere Einstellung ranzukommen. Ich habe das Gefühl, je mehr man als Arbeitgeber für das so oft umworbene Wohlbefinden der Mitarbeiter sorgt, desto bequemer und unzufriedener werden die Menschen. Wie soll ich mich verhalten?
Faktor-A-Leser Sönke Feldhusen fragt: „Sowohl Hirnforschung als auch gesunder Menschenverstand zeigen, dass Kreativität und Leistungsfähigkeit im Job mit Zufriedenheit und persönlichem Wohlbefinden einhergehen. Soweit die Theorie. In der Praxis haben Führungskräfte oft nur wenig Zeit, sich mit dem einzelnen Mitarbeiter und dem Arbeitsumfeld, in dem dieser tätig ist, zu befassen. Wie kann es gelingen, auch bei Zeitknappheit immer das Wohlbefinden der Mitarbeiter im Blick zu behalten?“
„Wie motiviert man Mitarbeiter in einem Kleinstunternehmen (Krankengymnastik-Praxis), wo sich die Lohnspirale relativ früh nicht mehr weiter nach oben drehen lässt, wo die Mitarbeiter aber aufgrund der sich stetig verschärfenden Nachwuchssituation in dieser Branche wissen, was sie „wert sind“?
Was, außer Geld, motiviert junge Leute bei einer Arbeit, die – verglichen mit anderen Berufen – schlecht bezahlt wird (bzw. werden kann) und für einen Angestellten in einer Praxis kaum Aufstiegschancen bietet?
Geht es beim Thema „Motivation“ nicht eher um die Kunst, nicht zu „demotivieren“, da man doch davon ausgehen kann, dass ein Mitarbeiter motiviert sein musste, als er sich um die Stelle beworben hat?
Auf die Motivation eines Mitarbeiters hat nicht nur der Betrieb Einfluss, sondern auch die Außenwelt. Was wäre Ihre Empfehlung, wie man als Chef auf von außen verursachte Demotivation des Mitarbeiters reagiert?
Führung beschreibt ja letztlich eine Subjekt-Objekt-Beziehung. Das heißt, dass ich als Führender den Mitarbeiter „an die Hand nehmen“ sollte. In meiner Branche, der ambulanten Pflege, ist das nur bedingt möglich. Meine Mitarbeiter sind allein bei unseren Kunden, ich kann sie dort nicht unmittelbar an die Hand nehmen. Es müsste mir also gelingen, die Prinzipien, an denen sich unsere Arbeit aus meiner Sicht orientieren sollte, in die Köpfe meiner Mitarbeiter zu pflanzen, damit Führung vor Ort ohne meine unmittelbare Anwesenheit gelingen kann. Wie schaffe ich es also, Führung für die Mitarbeiter so erlebbar zu machen, dass 1. sie sich gehalten und Richtung gebend orientiert fühlen, 2. meine Mitarbeiter die Prinzipien, an denen ich die Arbeit meines Betriebes ausgerichtet wissen möchte, als ihre eigenen wahrnehmen, so dass 3. meine Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie sich selbst führen?
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Gerald Hüther im Interview
"Kreativität ist eine Droge"
Faktor A: Unternehmen wünschen sich mitdenkende und engagierte Mitarbeiter. Was können sie dafür tun?
Gerald Hüther: Sie müssten ihren Mitarbeitern möglichst viele Gelegenheiten bieten, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und mitzudenken. Das menschliche Gehirn ist für kreatives Problemlösen optimiert, nicht zum Abarbeiten von Routinen. Damit sich die Verschaltungsmuster der Nervenzellen erweitern und festigen, braucht das Gehirn immer wieder andersartige Herausforderungen – sonst verkümmern diese Verschaltungen und lösen sich auf.
Verblödet Routine?
Bereits in der Schule und während ihrer Ausbildung werden Mitarbeiter allzu oft gezielt darauf vorbereitet, etwas Bestimmtes zu tun. Aus diesem dressierten Verhalten auszubrechen, wird ihnen schwer gemacht. Doch damit Menschen wirklich gut sind in dem, was sie tun, muss ihnen die Aufgabe Spaß machen.
Sie verstehen Arbeit als „Spaß“?
Freude ist vielleicht ein besserer Begriff. Aber natürlich macht es Spaß, eine Aufgabe zu meistern. Im Gehirn eines Menschen, der gerade ein Problem löst, werden viele und weit voneinander entfernt liegende neuronale Netzwerke aktiviert. Wird aus Erregung Beruhigung, entsteht ein Gefühl von Wohlbehagen. Es kommen die emotionalen Zentren im limbischen System des Gehirns in Erregung – das berauscht wie eine Droge.
Zitat:
„Das menschliche Gehirn ist für kreatives Problemlösen optimiert, nicht zum Abarbeiten von Routinen."
Gerald Hüther, Neurobiologe
Denken als legale Droge?
Eher das Lösen von schwierigen Fragen oder Problemen. Fällt einem eine gescheite Lösung ein, wird die Nervenzellverschaltung als neue Erfahrung ins Hirn eingebrannt. Botenstoffe mit neuroplastischen Wirkungen veranlassen die Zellen, ihre Verbindungen zu festigen und zu stabilisieren. Diese neuroplastischen Botenstoffe wirken wie Dünger für diejenigen Hirnbereiche, die man im Zustand der Begeisterung gerade benutzt hat. Nach und nach entsteht so eine zunehmend dichtere Vernetzung in den betreffenden Hirnregionen. Leider aber ist es um solche Anreize im Arbeitsleben häufig schlecht bestellt.
Was läuft denn schief?
Allzu leicht verlieren Mitarbeiter ihre Freude am kreativen Problemlösen. Das passiert überall dort, wo versucht wird, vorhandene Ressourcen bis zum Letzten auszunutzen, wo Angst geschürt, Druck gemacht, genau vorgeschrieben und kontrolliert wird, wo Mitdenken nicht wertgeschätzt und Verantwortung nicht übertragen wird. Machen Mitarbeiter die Erfahrung, dass ihnen kaum Verantwortung übertragen wird, dass sie unzureichend wertgeschätzt, womöglich gar verängstigt oder unter Druck gesetzt werden, dann hinterlässt das Spuren in ihrem Gehirn. Sie sind frustriert. Sie arbeiten unmotiviert, entmutigt, resigniert und nur noch auf das eigene Wohlergehen fokussiert.
Wie kommt man aus diesem Teufelskreis?
Die Lust, mitzudenken und mitzugestalten, lässt sich nicht anordnen. Belohnungen helfen da auch nicht weiter, denn damit ändert man zwar das Verhalten des Mitarbeiters, nicht jedoch seine Einstellung. Um ein erwünschtes Verhalten aufrechtzuerhalten, muss man immer wieder erneut belohnen oder mit Bestrafung drohen. Dies führt dazu, dass der Mitarbeiter Strategien entwickelt, wie er die Belohnung mit möglichst wenig Aufwand erhält, beziehungsweise die Bestrafung vermeidet, ohne dass es jemand merkt. Auf diese Weise bekommt man Mitarbeiter, die sich einerseits vor der Arbeit drücken und andererseits wann immer möglich Belohnungen einfordern. In diesem System leiden die Führungskräfte sogar noch mehr als die Mitarbeiter, denn sie müssen sich immer mehr anstrengen, um die gleiche Leistung aus den Mitarbeitern herauszukitzeln.
Das Problem liegt also bei den Führungskräften?
Ja. Ohne diese Einsicht geht es nicht. Nur dann ist eine Führung möglich, die Mitarbeiter zu neuen Erfahrungen einlädt und ermutigt. Wir nennen das „Supportive Leadership“.
Wie geht „Supportive Leadership“?
Vier Regeln reichen: 1. Schaffen Sie regelmäßig neue Herausforderungen! Das kann zum Beispiel Job-Rotation sein. 2. Vernetzen Sie das Know-how! Die Geschäftsführung muss das unterschiedliche Know-how immer wieder neu mischen, zum Beispiel, indem es durch „Abteilungs-Hospitanzen“ Schnittstellen bildet oder abteilungsübergreifende Teams aufsetzt. 3. Keine Angst! Angst entsteht als Folge von Verunsicherung. Sie löst im Gehirn ein archaisches Notfallprogramm aus, das nur noch drei Verhaltensweisen zulässt: Angriff, Flucht oder Erstarrung. 4 . Loben, Interesse zeigen oder in schwierigen Situationen helfen, indem Sie Ihre Mitarbeiter einladen, ermutigen und inspirieren, statt ihnen zu sagen, was sie zu tun haben. Durch diese positiven Kopplungen erzeugen Sie Zugehörigkeitsgefühl und Leistungsbereitschaft bei den Mitarbeitern. Wer sich anerkannt fühlt, ist viel eher bereit, beruflich die Extrameile zu gehen.
Und wie bringen Sie Führungskräfte dazu, die „Extrameile“ zu gehen?
Man kann ihnen helfen zu verstehen, dass ihre Arbeit viel leichter wird und ihnen wieder mehr Freude macht, wenn sie Mitarbeiter haben, denen sie nicht alles vorschreiben und die sie nicht ständig überwachen und kontrollieren müssen.
In Kürze
Vier Regeln des Supportive Leadership
Regelmäßig neue Herausforderungen schaffen! Zum Beispiel durch Job-Rotation
Know-how vernetzen! Als Führungskraft sollten Sie das unterschiedliche Know-how immer wieder neu mischen. Das kann durch „Abteilungs-Hospitanzen“ oder abteilungsübergreifende Teams geschehen.
Keine Angst! Angst ist eine Folge von Verunsicherung und löst im Gehirn ein Notfallprogramm aus. Dann sind nur noch drei Verhaltensweisen möglich: Angriff, Flucht oder Erstarrung.
Loben, ermutigen und inspirieren! Zeigen Sie an den Problemen Ihrer Mitarbeiter Interesse und helfen Sie ihnen, indem Sie sie ermutigen und inspirieren, statt ihnen zu sagen, was sie zu tun haben. So erzeugen Sie Zugehörigkeitsgefühl und Leistungsbereitschaft bei Ihrer Belegschaft.