Konflikte in Online-Meetings lösen

Auch in Online-Meetings können sich Beteiligte angiften oder anschweigen. Allerdings kommen remote neue Konflikte hinzu. Wie erkenne ich diese und spreche sie an? Tipps von Mediatorin Annette Vorpahl


19.05.2021 - Annette Vorpahl -6 MinutenRichtig führen

Zuletzt aktualisiert: 20.06.2023

Mehr Teams denn je finden sich in Online-Meetings wieder. Wie in der echten Begegnung können sich auch hier Beteiligte angiften oder anschweigen. Allerdings kommen remote ein paar neue Konfliktherde hinzu. Wie erkenne ich diese? Wie spreche ich Konflikte an, wenn jeder vor seinem Rechner sitzt? Mediatorin Annette Vorpahl gibt Tipps für Führungskräfte.

1. Woran entzünden sich Konflikte in Online-Meetings?

Die häufigsten Ursachen beruhen auf der Technik, der Situation oder der Kommunikation. So mancher Mitarbeitende ist mit der Technik überfordert, obwohl diese so einfach zu bedienen scheint. Es fehlt die Onlineaffinität und manchmal auch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Zweitens die Situation: Homeoffice schien zunächst eine praktikable und notwendige Lösung, die Arbeit unter Pandemiebedingungen fortführen zu können. Doch nicht jeder ist freiwillig dabei. Umstände wie Homeschooling, die parallele Arbeit des Partners in denselben vier Wänden oder der fehlende Small Talk mit Kolleginnen und Kollegen zerren an den Nerven.

2. Welchen Einfluss hat die Kommunikation?

Sie bietet die größte Angriffsfläche. Durch unpersönliche Chats und E-Mails entstehen schneller Missverständnisse und Falschinformationen, als wenn Menschen direkt und persönlich miteinander reden. Eine Nachricht wird als Bevormundung empfunden, jemand wird häufiger nicht informiert und fühlt sich ausgeschlossen. In der virtuellen Kommunikation kann der Großteil der Botschaft schnell verloren gehen: alles, was wir durch unseren Tonfall, die Mimik und Gestik unbewusst mitteilen. Eben das, was die Beziehungsebene ausmacht.

3. Führt auch das Verhalten in virtuellen Meetings zu angespannten Situationen?

Dafür gibt es viele Beispiele: Ein Teammitglied schaltet sich grundsätzlich nicht mit seinem Bild zu, ein anderes erscheint nie zur virtuellen Kaffeepause, Teilnehmende kommen zu spät, sie arbeiten nebenbei. Der Vorgesetzte klinkt sich öfter vorzeitig aus der Videokonferenz aus. Virtuelle Meetings sind außerdem anstrengender als Präsenztreffen, denn die Teilnehmenden müssen aufmerksamer sein und sich auf den Punkt konzentrieren. Daher sollten diese Treffen kürzer sein, es braucht Regeln für die Videokonferenz und eine klare und strukturierte Moderation. Der Pause kommt eine besondere Bedeutung zu.

4. Sollten Mitarbeitende ihre Zwists nicht grundsätzlich erst mal selbst klären?

Während sich Kolleginnen und Kollegen auf dem Flur oder in der Küche in der Regel über das eine oder andere private Thema austauschen, bevor sie einen Ärger ansprechen, ist die Hemmschwelle online viel höher – auch, weil da gleich viele Ohren mithören. Bei virtuellen Teams sind deshalb eine besondere Wachsamkeit und Gespür gefragt sowie ein offener Umgang miteinander, damit Unstimmigkeiten zeitnah angesprochen werden können. Für viele Führungskräfte sind Konflikte immer noch eine lästige Angelegenheit: Es geht um Ergebnisse und gute Zahlen. Dabei machen Konflikte Probleme bewusst, ermöglichen Veränderung und vertiefen Beziehungen zwischen Menschen – die Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit.

5. Was ist das Gefährliche, wenn Konflikte unbearbeitet bleiben?

Werden sie unter den Teppich gekehrt und bleiben lange Zeit unausgesprochen, können sie zu regelrechten Kriegen heranwachsen. Dann wird es schnell destruktiv und geht nicht mehr um die Sache, sondern um die Person. Bei sehr eskalierten Konflikten muss eine externe Fachperson einbezogen werden.

6. Warum sind Konflikte in virtuellen Meetings schwerer zu erkennen?

Wir können online nicht auf alle Sinne zugreifen. Wir sehen zum Beispiel nur das Gesicht und den Oberkörper. Je größer das Team im Meeting ist, desto schwieriger wird es außerdem, den Einzelnen im Blick zu behalten: Ist der andere noch aufmerksam? Hat jemand bereits innerlich abgeschaltet?

7. Auf welche konkreten Anzeichen kann ich achten?

Ob sich Unmut breitmacht oder sogar ein Konflikt schwelt, lässt sich unter anderem an zwei Merkmalen feststellen: Während die einen immer mehr reden, laut werden und sich aufregen, verstummen die anderen und sagen nichts mehr. Oft vermeiden Menschen auch den Blickkontakt, sie schauen weg oder verdrehen gar die Augen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Möglicherweise zeigen sie kein Interesse mehr am Thema. Im schlimmsten Fall verlassen sie das Meeting einfach.

8. Was kann ich tun, wenn ich diese Anzeichen wahrnehme?

Es ist wichtig, um die genannten Symptome zu wissen, sie zu erkennen und Teammitglieder aktiv wieder ins Boot zu holen. Zum Beispiel kann ich einzelne Personen direkt ansprechen: „Tom, mich würde deine Meinung zum Thema interessieren.“ Oder ich schicke der Person eine private Chat-Nachricht. Die Führungskraft muss nicht immer Moderatorin oder Moderator sein, so kann sie sich besser aufs Beobachten konzentrieren. Moderatorinnen und Moderatoren sollten sich ein paar Formulierungen überlegen, die sich rein auf die Wahrnehmung beziehen, zum Beispiel: „Mir fällt auf …“ oder: „Ich merke …“

9. Wie spreche ich als Führungskraft einen Konflikt an?

Wenn die Stimmung dauerhaft angespannt ist oder ein Streit eskaliert, sind Sie in Ihrer Rolle als Konfliktmoderatorin oder -moderator gefragt. Vor jeder Konfliktklärung müssen erst einmal die Ursachen klar sein. Vorausgesetzt Sie selbst sind nicht am Konflikt beteiligt, sprechen Sie mit den beteiligten Konfliktparteien zunächst einzeln – am besten per Videotelefonie. So erkennen Sie nonverbale Signale zumindest teilweise. Folgende Fragen können hilfreich sein: Liegt es an den Rahmenbedingungen, also an der Technik, am Ort, am Raum, der Zeit? Hängt das Problem mit der Aufgabe zusammen? Oder ist der Konflikt persönlicher Art: Gibt es Reibereien zwischen zwei Personen, zwischen Gruppen innerhalb eines Teams?

10. Wie gehe ich im Gespräch mit den Konfliktparteien vor?

Prüfen Sie zunächst für sich, ob Sie eine neutrale Haltung als Vermittler einnehmen können. Wenn Sie unsicher sind, sollte ein HR-Experte oder externer Konfliktberater die Streitschlichtung leiten. Ansonsten bitten Sie beide Seiten zeitnah zum Gespräch. Zunächst werden ein paar Regeln geklärt: Jeder schaltet sein Video ein, man hört sich zu, lässt sich ausreden, beobachtet statt zu bewerten, verzichtet auf Vorwürfe – und ganz wichtig: verpflichtet sich zur Vertraulichkeit. Alles, was besprochen wird, bleibt bei den Teilnehmenden. Dann nennen Sie Anlass und Ziel des Gesprächs. Fragen Sie jede Seite: „Was ist aus Ihrer Sicht passiert?“ „Was stört, was belastet?“ Sie achten darauf, dass beide Seiten etwa gleich lange Redeanteile haben.

11. Wie kommt man zu einer Lösung?

So ein Gespräch wird häufig von allen Seiten als unangenehm empfunden, und man sucht gern schnell nach Lösungen. Aber erst wenn sich beide Seiten wirklich gegenseitig verstanden fühlen, kann mit der Suche begonnen werden: Was soll sich ändern? Woran würden Sie merken, dass der Konflikt beendet ist? Und: Was ist jeder bereit, dafür anders/neu zu tun? Am Ende steht eine Vereinbarung, die nach einer gewissen Zeit überprüft werden kann.


Titelfoto: © iStock/sesame