Onboarding? Gelingt auch im Homeoffice

Jeder zehnte Arbeitnehmer kündigt innerhalb der ersten 100 Tage. Das lässt sich vermeiden – und zwar mit gutem Onboarding, sagt Timm Funke, Personalvorstand bei der mindsquare AG, und erklärt, wie das aus dem Homeoffice gelingen kann.


20.05.2020 - Nele Justus -6 MinutenRichtig führen

Jeder zehnte Arbeitnehmer kündigt innerhalb der ersten 100 Tage. Das lässt sich vermeiden – und zwar mit einem guten Onboarding. Timm Funke, Personalvorstand bei der mindsquare AG, über die Notwendigkeit von Onboarding, Fehler, die man vermeiden sollte, und wie man es schafft, in Zeiten von Corona neue Mitarbeiter aus dem Homeoffice einzuarbeiten.

Faktor A: Wieso haben Sie in Ihrer Firma Onboarding etabliert?

Timm Funke: Wir hatten einen zentralen Auslöser. 2014 haben wir innerhalb kurzer Zeit sechs Mitarbeiter verloren, die einen Arbeitsvertrag bei uns unterschrieben, aber noch nicht angefangen hatten. Insgesamt wollten wir 30 neue IT-Consultants einstellen. Wenn dann ein Fünftel noch vor dem ersten Tag kündigt, trifft einen das hart. Was dazukommt: Dies sind die teuersten Verluste, weil die Akquisearbeit ja bereits in die Mitarbeiter geflossen ist. Das Geld für Messen, Stellenanzeigen und Active Sourcing ist dann schon gezahlt worden – das sind bei uns 3.780 Euro pro eingestelltem Mitarbeiter.

Konnten Sie feststellen, warum die Mitarbeiter gekündigt haben?

Timm Funke Portrait lachender Mann im Anzug
© PR - Timm Funke, 45, Personalvorstand und Geschäftsführer bei der mindsquare AG

Ja, wir konnten genau sehen, dass dort, wo der Teamleiter nach Vertragsabschluss keinen Kontakt mehr zu seinem neuen Mitarbeiter hatte, Kündigungen häufiger vorkamen als bei jenen, bei denen der Teamleiter intuitiv den neuen Kollegen angerufen oder zu Teamevents eingeladen hatte. Deswegen war für uns ganz klar: Unser Onboarding-Prozess muss lange vor dem ersten Arbeitstag beginnen, und zwar direkt mit der Unterschrift. Alles andere kommt einem teuer zu stehen. Und auch die Haltung: Egal, nehmen wir halt den Nächsten, kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten.

Das heißt: Onboarding startet Monate vor dem ersten Arbeitstag?

Richtig. Was man vielleicht zu uns noch wissen muss: Wir sind eine IT-Beratungsfirma. Wir stellen Informatiker fast immer direkt im Anschluss an ihr Studium ein. Und wir sind natürlich nicht die Einzigen, die IT-Fachkräfte suchen. Das bedeutet: Selbst wenn jemand bei uns unterschrieben hat, wird er immer wieder von anderen Firmen kontaktiert. Deswegen ist Onboarding bei uns so wichtig. Weil wir direkt anfangen können, eine Beziehung aufzubauen, um den Mitarbeiter an uns zu binden. Ohne Beziehung, das mussten wir ja schmerzlich erleben, fällt es leichter, sich doch noch umzuentscheiden.

Wie haben Sie Ihren Onboarding-Prozess genau strukturiert?

Bei uns gibt es drei Phasen: Stage 0 ist von der Vertragsunterschrift bis zum ersten Tag; dann haben wir für 95 Prozent aller Mitarbeiter, die bei uns starten, ein zehnwöchiges Traineeprogramm – das ist unsere Stage 1. Und in Stage 2 begleiten wir den Mitarbeiter einen Monat lang während seines Übergangs in die Praxis.

Was passiert konkret in Ihrer Stage-0-Phase, also beim Preboarding?

Haben wir uns mit dem neuen Mitarbeiter geeinigt, bekommt er von uns eine Vertragsbox. Darin enthalten ist – natürlich – der Vertrag mit Rückumschlag. Aber noch ein paar weitere Goodies: etwa ein Foto vom Team, damit der- oder diejenige schon mal weiß, wie die Kollegen aussehen; ein Gutschein für einen Anzug, weil der bei uns auf Kundenterminen Pflicht ist; ein Paar Socken mit unserem Logo und das „Fish“-Buch. Das ist ein Motivationsbuch, mit dem man lernen kann, die Dinge positiv anzugehen. Wir finden, das passt gut zu unserer Unternehmenskultur.

Wie geht es nach der Vertragsbox weiter?

Die Preboarding-Phase hat bei uns das Ziel, Vorfreude zu wecken, Begeisterung zu schüren und den Absprung zu vermeiden. Deswegen laden wir die neuen Kollegen in die wichtigsten WhatsApp-Gruppen und zu allen Firmen- und Teamevents ein: Sommerfest, Quartalsfest, Weihnachtsfeier, Teamabende mit und ohne Partner. Dazu meldet sich der Teamleiter zum Geburtstag und regelmäßig mindestens einmal im Monat. Diese Monatsgespräche sind sehr zwanglos, ein „Wie geht es dir?“ ohne vorgeschriebene Agenda. Viele Teamleiter bieten dabei ihre Hilfe für die Abschlussarbeiten oder Projekte im Studium an. Das wird oft und gerne angenommen. Eine Woche vor Start wird noch einmal das ganze Team informiert. Und selbstverständlich der Kunde, damit auch der weiß, dass da bald jemand Neues kommt.

Was für ein Feedback bekommen Sie, wenn die Mitarbeiter dann endlich bei Ihnen anfangen?

Das ist durchweg positiv. Der Tenor ist: Irgendwie gehöre ich ja schon die ganze Zeit dazu. Und genau das wollen wir mit dem Onboarding erreichen. Dass sich jemand schnell zurechtfindet und sich zugehörig fühlt.

Der erste Arbeitstag in einer neuen Firma steht ja vielen bevor, und viele wissen nicht, was auf sie zukommt, wer mit ihnen essen geht und wer sich um sie kümmert. Wie läuft der Tag bei Ihnen ab?

Der erste Tag bei uns ist normalerweise ein großes Happening. Anders als bei anderen Firmen starten bei uns die Mitarbeiter nie allein, sondern einmal im Quartal als Gruppe. Und für diese Gruppe gibt es schon ein Vortreffen, sodass sich alle im privaten Kontext schon einmal kennengelernt haben. Das nimmt vielen schon die Verunsicherung. Und dann geht es hauptsächlich darum, erst mal anzukommen und seine Arbeitsgeräte einzusammeln. Als Personalleiter und Geschäftsführer mache ich die Begrüßung und bin auch beim gemeinsamen Mittagessen dabei. Der Tag endet mit unserem gemeinsamen Brauhausabend. Gemeinsam heißt in dem Fall: alle neuen Mitarbeiter, deren Teamleiter, der Traineecoach und ich. Die Brauhausabende sind legendär bei uns. Ein Erlebnis, an das sich viele noch Jahre später erinnern. Es verbindet und baut Nähe auf – bis zur Geschäftsführung.

Und wie machen Sie das jetzt, wenn wegen des Coronavirus alle im Homeoffice sitzen?

Wir haben tatsächlich den Start des Traineeprogramms um einen Monat nach hinten verschoben. Und dieses Mal findet das Onboarding remote statt. Dafür haben wir in einem Webinar unsere Teamleiter extra darauf geschult, was bei der Führung im Homeoffice wichtig und anders ist. Etwa, dass wir auf die Distanz Nähe schaffen müssen und wie das am besten möglich ist.

Was bedeutet das konkret?

Wir starten jeden Morgen mit einem Videomeeting. Dazu gibt es gemeinsame Mittagspausen mit Video, Spielerunden am PC – ein Team zockt beispielsweise Poker und spendet den Einsatz, ein anderes versucht online, den Hogwarts Escape Room zu knacken. So etwas ist bei uns natürlich einfacher, weil Informatiker eh oft gerne spielen. Und ich persönlich lade alle Kollegen zum Wochenabschluss zum Feierabendbier mit einer Zoom-Session ein.

Viele Firmen arbeiten beim Onboarding mit Mentoren. Wie machen Sie das?

Bei uns übernehmen die Teamleiter diese Rolle. Uns ist der Personal Fit sehr wichtig. Deswegen stellt jeder Teamleiter für sein Team selbst ein. Er ist also der Hauptansprechpartner für alle Fragen und hat auch die Aufgabe, den neuen Mitarbeiter ins Team zu integrieren und ihn sowohl fachlich als auch persönlich weiterzuentwickeln. In den ersten zehn Wochen gibt es dafür die sogenannten Mittwochsgespräche. Mindestens einmal in der Woche reden Mitarbeiter und Teamleiter also darüber, wie es läuft, wie sich der Mitarbeiter fühlt und wo es Handlungsbedarf gibt. Dazu kommen noch persönliche Abende wie Kinobesuche oder Essen. Der Teamleiter ist immer dicht dran und sieht, wo es hakt.

Onboarding hat auch zum Ziel, dass die Mitarbeiter schneller ins Arbeiten kommen. Können Sie das bestätigen?

Was wir bemerken ist, dass die Mitarbeiter viel schneller Vertrauen fassen und auch Dinge ansprechen, die vielleicht noch nicht so gut klappen. Da können wir also schneller reagieren und unterstützen. Ob sie auch schneller und effektiver arbeiten, kann ich nicht mit Zahlen belegen. Das ist eher ein Bauchgefühl. Aber wir bemerken, dass die Gruppendynamik stark ist und wir die Anfangsmotivation mitnehmen können. Bei uns sitzt keiner frustriert herum, weil er zwei Wochen lang auf seinen Rechner warten muss oder keiner mit ihm spricht.

Können Sie den Erfolg des Onboardings auch mit Zahlen messbar machen?

Ganz klar! Die Zahl der Nichtanfänger ist signifikant gesunken: 2019 und 2018 hat niemand mehr unterschrieben, der nicht angefangen hat. Und wenn man auf die ersten 100 Tage blickt: Da gibt es im Prinzip keine Kündigungen. Nur in Einzelfällen stellen wir beidseitig fest, dass es nicht der richtige Job ist. Aber genau dafür ist die Probezeit auch da.

Was ohne Onboarding passieren kann:

Laut einer Umfrage der softgarden e-recruiting GmbH

  • mussten knapp 14 Prozent der Bewerber nach einer Zusage lange auf ihren Arbeitsvertrag warten,
  • wurde jeder vierte Neueinsteiger seinen Kollegen am ersten Tag nicht vorgestellt,
  • hatten 43 Prozent der neuen Mitarbeiter keinen persönlichen Ansprechpartner unter den Kollegen,
  • mussten zwei Drittel der neuen Mitarbeiter auf ein konkretes Einarbeitungsprogramm verzichten,
  • machten 57 Prozent der Neuen die Erfahrung, dass ihr Arbeitsplatz am ersten Tag nicht eingerichtet war.

Titelfoto: © iStock/filadendron