Petra Jenner: Wenn Kollegen zu Konkurrenten werden

Petra Jenner ist eine der einflussreichsten weiblichen Führungskräfte im deutschsprachigen Raum. Doch auch Sie kam beruflich schon öfter an ihre Grenzen.


01.11.2017 - Esther Werderinghaus -4 MinutenRichtig führen

Sie kam an die Spitze - und aus guten Kollegen wurden plötzlich Konkurrenten. Warum ist das so – und warum bereitet einen niemand auf Führungspositionen vor, fragte sich Jenner? Heute ist sie angekommen, beruflich und persönlich.

„Es war 1998 und ich machte meinen bis dahin größten Karrieresprung. Vorher war ich Channel-Managerin beim internationalen Software-Unternehmen Informix bei München. Drei Jahre später wurde ich Mitglied der Geschäftsleitung und Manager Partner Sales für Deutschland, Österreich, Schweiz und osteuropäische Länder.

Ich habe mich gefreut und gelitten, denn von einer Sekunde auf die andere wurde ich von meinen Manager-Kollegen von einer geschätzten Kollegin zu einer Widersacherin, viele gingen auf Distanz. Zahlreiche Kollegen, die mir etwas bedeutet hatten, verhielten sich plötzlich abweisend oder zumindest anders. Es war doch nur ein neuer Titel, dachte ich.

Was ist jetzt anders?

Mir kamen Gerüchte zu Ohren: „Warum ist die plötzlich hochgekommen? Die hatte doch eine Affäre mit dem und dem“. Manche Ressortleiter und Kollegen aus der Geschäftsleitung schauten von oben auf mich herab, immer darauf lauernd, dass ich Fehler mache. Das hat weh getan, aber ich fühlte, wie sich mein Widerstand regte, vielleicht ein bisschen naiv nach dem Motto „Das Gute wird siegen“. Voller Elan vertraute ich auf meine Leistungsbereitschaft. Früher oder später würde sich alles wieder beruhigen, dachte ich.

Informix war ein Hype-Unternehmen in einer Hype-Epoche der IT-Entwicklung. Die Branche boomte und blähte sich immer mehr auf. Alle arbeiteten wie im Fieber auf den nächsten Umsatzrekord hin. Jeder wollte einem Milliarden-Unternehmen angehören. Börsenexperten sahen in dem Unternehmen einen Anlagekandidaten mit extremen Zuwächsen, entsprechend war ihre Erwartungshaltung – und ihr Druck auf das Unternehmen. Die Umsätze stiegen, der Zwang, schnelle Deals abzuschließen, wurde größter. Immer mehr Millionen wurden benötigt, aber wir wussten alle, dass sich das Unternehmen gerade überhitzte. Ich ahnte, dass bald eine andere Zeit kommen würde. Das unangenehme Gefühl in der Magengrube ließ nicht nach.

Einerseits mochte ich das Gefühl „angekommen zu sein“, es geschafft zu haben. Aber ich hatte noch keine Routine im selbstverständlichen Umgang mit Statussymbolen und konnte mich noch nicht selbstsicher in der Umgebung bewegen. Also neigte ich dazu, mein Defizit mit extrem geschäftsmäßiger Kleidung und extremer Aufmerksamkeit zu kompensieren. Jedes berufliche Thema war mir willkommen, Hauptsache ich konnte meine innere Unsicherheit hinter fachlichen Diskussionen verstecken.

Der große Krach

Auf die Führungsposition wird man in Unternehmen nicht wirklich vorbereitet. Oft wusste ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Was ist angemessen? Wen kann ich fragen? Meinen Chef konnte ich nicht ansprechen, weil er der Typ war, der es nicht sonderlich schätzte, wenn man ratlos war.

Ich war gerade mal ein paar Monate in meiner neuen Position, da krachte es. Im März 1998 wurde der Börsenhandel für Informix-Aktien ausgesetzt. Als ich an diesem Morgen ins Büro kam, ahnte ich nicht, was los war, aber dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Vorstandsvorsitzende wurde abgesetzt, ein neuer CEO und ein neuer Finanzchef wurden angekündigt. Fast alle weiteren Vorstände wurden gefeuert. Phil White, der einstige CEO, wurde später festgenommen und ging ins Gefängnis. Der Autor Steve Martin schrieb in seinem Buch über den Informix-Skandal, er sei an „seiner, Gier, seinen Lügen und der Lust an der Macht“ gescheitert.

Diese Ereignisse waren mit Abstand das Dramatischste, was ich in meinem beruflichen Leben bisher erlebt habe. Der einstige Börsenliebling stand vor dem Abgrund. Ich wusste nicht, was mit mir passieren würde.

Menschlicher Zugang zum Team

Aber es ging weiter. Mit einer um die Hälfte reduzierten Mannschaft. Die meisten meiner Kollegen waren freiwillig gegangen, diejenigen, die blieben, waren motiviert bis in die Haarspitzen. Es war ein Team, bei dem jeder wusste, was zu tun ist, jeder hatte am gleichen Strang gezogen! Eine kleine Oase inmitten der Wüste eines doch eher erstarrten Betriebsklimas war entstanden. Das setzte große Energien frei. Das darauf folgende Jahr brachte eine Konsolidierung: Mein Team und ich haben alle Ziele geschafft, sie sogar übererfüllt, und das unter widrigsten Bedingungen.

Das Gefühl, in einer Führungsrolle zu sein und doch auch einen normalen menschlichen Zugang zum Team zu haben, hat mich sicherer werden lassen. Es hat dazu geführt, dass ich mich in meinem Ansinnen alles humaner zu gestalten, bestärkt fühlte. Mein Team hatte sich ohne Druck und Ermahnungen selbst motiviert und fühlte sich als wertvoller Teil des großen Ganzen. Das sind prägende Erfahrungen, die mich stark gemacht haben in der Überzeugung, dass Führungskräfte endlich ihre Mitarbeiter mit ihrem gesamten Potential wahrnehmen und die Menschen für ihre Leistungen würdigen müssen. Nur so vermeiden wir, dass uns der Sprung auf der Karriereleiter dermaßen geneidet wird. Im besten Fall ändert sich durch einen Karrieresprung auf menschlicher Ebene gar nichts. Im besten Fall.“

Zur Person

Petra Jenner

Als frühere CEO von Microsoft Schweiz und heute Vice President Innovation & Transformation Europe Central bei Salesforce gehört Petra Jenner zu den einflussreichsten Frauen im deutschsprachigen Wirtschaftsraum. Nach Jahren als Geschäftsführerin verschiedener Unternehmen leitete Petra Jenner zunächst Microsoft Österreich, 2011 übernahm sie die Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz. Sie hält flexible Arbeitsformen und -modelle in einer Arbeitswelt für unerlässlich, die den Mitarbeitern immer mehr abverlangt und in der die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben zunehmend verschwimmen.


Titelfoto: © Christian Beutler/dpa