Quiet Quitting:
Warum Dienst nach Vorschrift keine Generationenfrage ist

Wenn Beschäftigte still und innerlich kündigen, sind Arbeitgeber machtlos? Warum dem nicht so ist und was die Generation Z damit zu tun hat, erfahren Sie im Beitrag.


21.11.2023 - Katja Feuerstein -10 MinutenRichtig führen

Jobtrends wie Quiet Quitting sind derzeit in aller Munde. Die Generation Z wirft gängige Regeln am Arbeitsmarkt über Bord und will nicht mehr arbeiten, heißt es da. Warum diese Gleichung zu einfach ist, erklärt Forscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Quiet Quitting – das neue Schreckgespenst am Arbeitsmarkt?

Alle Jahre wieder geistern neue Jobtrends durch die Arbeitswelt. Gerade die jüngere Generation Z (nach 1990 geboren) kommt dabei schlecht weg. Alles Arbeitsunwillige und Genussmenschen, so die gängigen Klischees. Quiet Quitting markiere dabei nur den nächsten Höhepunkt einer Faulenzergeneration. Angesichts ständig neu hereinprasselnder Arbeitsmarktrends, die im Internet viral gehen, stellen sich bei vielen Arbeitgebern die Nackenhaare auf. Quiet Quitting ist einer dieser Jobtrends, der Unternehmen aktuell das Fürchten lehrt. Zu Recht?

Quiet Quitting – Trend oder alter Hut?

Gab es das nicht schon einmal? Wollen uns Influencer*innen, Blogger*innen und andere Netzakteure hier bloß einen Bären aufbinden? Im Sommer 2022 reichten jedenfalls 17 Sekunden, um die Arbeitswelt aufzurütteln. Ein kurzes Video von Zaid Khan (alias @zaidleppelin) auf der Social Media-Plattform TikTok schoss durch die Decke. Inhalt: Quiet Quitting: 

Zitat:

„Du kündigst die Vorstellung, über die Mindestanforderung hinaus zu arbeiten“ (Zaid Khan)

Mehrere Personen legen ihre Mobiltelefone auf dem Tisch zusammen, auf denen Social Media zu sehen ist
Foto: Heute geht vieles im Internet ganz schnell viral, @Adobe Stock/DisobeyArt

Millionen Menschen sahen den Clip. Die Diskussion im Netz lief heiß: Auf Twitter, Instagram & Co. äußerten sich besonders die Generation Z und jüngeren Millennials. Große US-amerikanische Medien griffen das Thema auf. Inzwischen ist es auch aus der deutschen Debatte nicht mehr wegzudenken. Aber welchen Hintergrund hat Quiet Quitting genau? Handelt es sich um ein neues Phänomen? Und hat es das Potenzial, auch den Arbeitsmarkt in Deutschland umzukrempeln?

Am 25. Juli 2022 postete der TikToker Zaid Khan ein Video, mit dem er den Begriff des “Quiet Quitting” salonfähig machte. Darin erklärt er das Konzept des minimalen Arbeitsaufwandes: Wer unzufrieden oder überfordert mit den Anforderungen seines Jobs sei, der solle einfach nur noch das machen, was in seiner Jobbeschreibung steht. Nicht mehr und nicht weniger. Plötzlich schien „Quiet Quitting“ die Antwort auf alle Situationen, in denen Arbeitnehmende sich oder ihre Leistung nicht angemessen wertgeschätzt fühlen. Damit brach ein viraler Sturm los: millionenfache Klicks, viel Lob, aber auch Kritik. Der neue Work-Culture-Trend verbreitete sich indes wie ein Lauffeuer: Es dauerte nicht lange, da wurde der Begriff auf andere Lebensbereiche übertragen – für Partnerschaften gibt es nun das Pendant „Quiet Dumping”. Dabei ziehen sich Partner*innen bei Problemen emotional immer weiter zurück, bringen sich nicht länger in die Beziehung ein – vermeiden aber den endgültigen Schlussstrich.

Warum ist Quiet Quitting gerade in aller Munde?

Doch weshalb macht Quiet Quitting ausgerechnet jetzt Schlagzeilen? Zufall ist das nicht. Vielmehr ist die zugehörige Diskussion ein Ausdruck der aktuellen Debatte um einen generationsbedingten Wandel in der Arbeitswelt an sich, was den Wert der Arbeit im Leben der Menschen angeht. Was war passiert? In der Covid-19-Pandemie kam es ab dem Frühjahr 2021 zu einer arbeitnehmerseitigen Kündigungswelle in den USA – dem „Big Quit“ (auch „Great Resignation“). Obwohl die Ursachen vielfältig waren, wurde der Pandemie hierbei eine Katalysatorrolle zugeschrieben. Schließlich wurde der „Big Quit“ von der Diskussion um Quiet Quitting abgelöst. In China gab es 2021 sogar einen ähnlichen Trend, der unter „flachliegen“ Furore machte.

Quiet Quitting: Arbeiten ja, aber genug ist genug

In der aktuellen Debatte kursieren zwei voneinander abweichende Definitionen: Quiet Quitting (auch "silent quitting") heißt wörtlich übersetzt „stille Kündigung“, wobei der Begriff in die Irre leitet. Beschäftigte kündigen nicht wirklich. Vielmehr geht es darum, nein zu sagen. Nein zu Ausbeutung, zu Sonderaufgaben und Überstunden. Kein Karrierebuckeln mehr am Wochenende. Das schließt Leistung nicht aus – aber eben nur im vereinbarten Rahmen. "Dienst nach Vorschrift" trifft es damit besser. Danach bedeutet Quiet Quitting, dass man die sprichwörtliche „Extra-Meile“ nicht mehr geht.

Eine Arbeitnehmerin lehnt zusätzliche Aufgaben mit erhobener Hand ab
Foto: Zusätzliche Aufgaben im Job - nicht mit mir, @Adobe Stock/kues1

Das schließt auch nicht aus, dass jemand nicht trotzdem motiviert und erfolgreich sein kann. Aufgaben können erledigt, Projekte vorangetrieben, Ziele erreicht und Fristen eingehalten werden. Eine Überstunde ist auch einmal drin, um etwas Wichtiges abzuschließen. Die Norm ist das aber nicht. Quiet Quitter in diesem Sinne sind nicht mehr bereit, der Arbeit alles unterzuordnen und nur für diese zu leben. Es geht darum, seinem Lohn entsprechend zu arbeiten und raus aus dem Hamsterrad zu kommen. Hiervon klar abzugrenzen ist die zweite Definition im Sinne einer „inneren Kündigung“. Laut Arbeitspsychologen identifizieren sich Beschäftigte dabei nicht mehr mit ihrer Arbeit. Deshalb reduzieren oder verweigern sie ihre Leistung.

Kennt Quiet Quitting ein Alter?

Vorurteile kennen kein Alter, Jobtrends schon. Quiet Quitting und Generation Z werden gerne in einem Atemzug genannt. Viel Aufmerksamkeit erzeugte etwa eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup in den USA, die die emotionale Bindung an den Arbeitgeber untersucht hat: sie enthüllte nicht nur, dass rund die Hälfte aller Beschäftigten innerlich mit ihrem Job bereits abgeschlossen hätten. Sie stellte zudem fest, dass die Unzufriedenheit und das mangelnde Engagement unter jüngeren Generationen am größten seien. Besonders die Millennials und die Generation Z  scheinen danach eher zum Dienst nach Vorschrift zu neigen. Sie fühlten sich bestärkt, ihr Arbeitsleben selbst in die Hand zu nehmen. Damit gehe der Wunsch einher, Karriere und Identität klarer zu trennen und Grenzen zum Privaten zu ziehen. Arbeit sei nicht mehr identitätsstiftend, sondern nur noch Mittel zum Zweck. Trifft Quiet Quitting einen Nerv der Jungen?

Laut Gallup-Studie spricht einiges dafür: die jüngsten globalen Unruhen und Zeiten großer Ungewissheit, wie die Coronakrise oder der Ukrainekrieg, hätten zu einem Umdenken geführt. Arbeitnehmende würden sich der Vergänglichkeit des Lebens stärker bewusst. Das gelte genauso für die Risiken von Überarbeitung, Burnout, Stress und daraus resultierenden Erkrankungen. Viele Junge hätten erlebt, wie sich ihre Eltern der Baby-Boomer-Generation für die Arbeit aufgeopfert hätten, mit entsprechenden Folgen für Privatleben und Gesundheit. Insgesamt rücke der Fokus weg von der Arbeit auf die wichtigen Dinge im Leben, wie Freunde, Familie und Gesundheit. Auch lebenslanges Lernen sei üblicher und zugänglicher geworden. Beschäftigte besäßen heute nicht nur die Freiheit, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn dieser nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht. Jobhopping genieße auch mehr Akzeptanz. Den Jungen spielt zudem der Arbeits- und Fachkräftemangel in die Karten: die Arbeitsmarktmacht verschiebt sich zu ihren Gunsten. Viele Baby-Boomer gehen demnächst in Rente, eine Lücke, die die nachfolgenden Jahrgänge allein nicht schließen können.

Harte Fakten: Was die Wissenschaft sagt

Die Gallup-Studie, auf die sich viele Beiträge zum Thema berufen, ist allerdings umstritten. Sie liefert nämlich keinen wissenschaftlichen Beweis für diesen Trend. Generell ist die Frage, wie neu dieser Arbeitsmarkttrend wirklich ist. Der Begriff „Quiet Quitting“ kam streng genommen bereits 2009 auf. Manche Forscher argumentieren, dass Arbeitnehmende nach Umfragen von vor 20 Jahren nicht engagierter in ihrem Job waren als heute. Hat die Pandemie nun einen Big-Quit und Quiet-Quitting-Trend in Deutschland ausgelöst?

Zitat:

„Im deutschen Arbeitsmarkt gab es eher große Ruhe statt Great Resignation“ 

Porträt von Enzo Weber, Forscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Foto: Arbeitsmarkforscher Enzo Weber beschäftigt sich schon länger mit dem Thema, @Michael Bode

Nein, zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und bringt Klarheit in die Diskussion. IAB-Ökonom Enzo Weber verweist einerseits auf Daten des IAB-LinkedIn-Branchenwechsel-Radars, wonach das Branchenwechselgeschehen seit dem ersten Lockdown tendenziell rückläufig ist. Zum anderen haben die Forschenden herausgefunden, dass die Identifikation mit der Tätigkeit und die Bindung an den eigenen Arbeitgeber in den Jahren vor Corona (zwischen 2013 und 2019) zwar stetig abgenommen hat. In der Pandemie setzte sich diese Entwicklung aber nicht fort. Das bedeutet, dass Mitarbeitende sich in der Coronakrise stärker mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber verbunden fühlten.

Zitat:

„Einen „Quiet-Quitting“-Trend gibt es so nicht“ 

Der Arbeitsmarktforscher hat nicht nur seine Zweifel, ob der TikTok-Trend mit der Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt viel gemeinsam hat. Er verweist darauf, dass die Generation Z entgegen dem Klischee sogar eine stärkere Bindung an ihren Arbeitgeber und eine ausgeprägtere Identifikation mit ihrer Tätigkeit im Vergleich zu älteren Generationen aufweise:

Zitat:

„Die Generation Z will nicht weniger, sondern anders arbeiten“ 

Allerdings müsse man diese Entwicklung von der eingangs erwähnten „inneren Kündigung“ unterscheiden, bei der sich Beschäftigte von ihrer Arbeit distanzieren und ihre Produktivität reduzieren. Diese Tendenz hatte sich in den Jahren vor der Pandemie durchaus verstärkt. Generell ließe sich keine Evidenz für ein „Quiet Quitting“ finden, bei dem Beschäftigte, unabhängig vom Alter, zwar zugunsten ihres Privatlebens etwas kürzertreten wollen, aber nach wie vor eine hohe Bindung an das Unternehmen aufweisen. Vielmehr lässt sich empirisch nur ein paralleler Rückgang von Bindung und Engagement in den Jahren vor der Pandemie beobachten, der sich aber währenddessen nicht fortgesetzt hat. Dies wirft die Frage auf, ob es „Quiet Quitter“ nicht schon immer gab und das Phänomen nur anders bezeichnet wurde, etwa als „Dienst nach Vorschrift“ oder eben „innere Kündigung“.

Zitat:

„Als Arbeitgeber muss man sich nicht an Modediskussionen um Quiet Quitting und Generation Z orientieren“

Laut Weber sollten Arbeitgeber aber den Rückgang von Engagement und Verbundenheit in den Jahren vor Corona ernst nehmen. Sie sollten versuchen, den Trend nachhaltig umzukehren bzw. beides wieder zu stärken. Wichtig sei es also, etwa die Möglichkeiten von flexiblen Arbeitszeitmodellen und Mobilarbeit zu nutzen, um Motivation und individuelle Arbeitsbedingungen zu verbessern sowie Entwicklungsperspektiven zu bieten. Denkbar sei auch die Einführung einer X-Tage-Woche. Dabei haben Arbeitnehmende die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten und deren Verteilung über die Woche individuell und im Laufe ihres Lebens anzupassen. Auf dieser Basis könne dann jeder für sich bestmöglich entscheiden, wie viel Zeit er in seine Arbeit investieren möchte, so Weber. Das sei wiederum der Motivation, Bindung, Leistung und Produktivität zuträglich. "Nicht der Fachkräftemangel, die digitale Transformation oder der Zeitgeist sollten darüber entscheiden, wie viel und wie lange wir arbeiten – sondern wir allein“, so Weber.

Wie gefährlich ist Quiet Quitting für Unternehmen?

Das Risiko für Unternehmen, gutes Personal in Zeiten von Arbeits- und Fachkräftemangel zu verlieren, ist nicht zu unterschätzen. Denn unzufriedenes Personal ist wechselwilliger und lässt sich eher durch die Konkurrenz abwerben. Noch schwerer wiegt aber ein anderes Problem.

Quiet Quitting kann langfristig krank und unglücklich machen

Wie eingangs festgestellt, kann Quiet Quitting durchaus eine bewusste Entscheidung sein. Für diese Arbeitnehmenden hat die Work-Life-Balance oberste Priorität. Sie fühlen sich gut damit, nur Dienst nach Vorschrift zu leisten. In den meisten Fällen liegen die Ursachen aber tiefer: Quiet Quitting ist dann ein rein reaktives Verhalten, ein stiller Protest: Für Betroffene ist der Job es nicht (mehr) wert, sich dafür zu verausgaben. Sie sehen es nicht (mehr) ein, alles dafür zu geben. Woran liegt das?

Eine Beschäftigte schlägt verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen
Foto: Manchmal ist zu viel einfach zu viel, @Adobe Stock/Songsak C

Die Gründe sind sehr unterschiedlich: eine ungesunde Arbeitsumgebung, permanente Überlastung, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten oder mangelnde Wertschätzung der eigenen Leistung. Statt sich für den gemeinsamen Erfolg zu engagieren, ziehen sich die Mitarbeitenden zurück oder leisten nur noch das Nötigste – eine Negativspirale. Denn stillschweigend gehen so Motivation und Einsatzbereitschaft weiter verloren – und damit auch die Produktivität des Unternehmens. Im schlimmsten Fall drohen Krankheit und Depression.

Hat „Quiet Quitting“ auch etwas Gutes?

Ist der Schlendrian denn jetzt ganz im Arbeitsleben angekommen, mag sich mancher Arbeitgeber fragen, wenn er von Quiet Quitting hört. Doch der Dienst nach Vorschrift muss nicht per se schlecht sein. Und es ist ja nicht so, dass Quiet Quitter nichts tun. Sie setzen nur Grenzen, sich selbst und anderen. Ziel ist es, eine gesunde, nachhaltige Work-Life-Balance zu finden, um nicht langsam auszubrennen. Im positiven Sinne kann man auch von Selbstschutz sprechen, einer Burnout-Prävention auf Arbeitnehmerseite. Andere sprechen gar vom Ende der Hustle-Kultur. Damit wird eine toxische Arbeitsmentalität bezeichnet, die sich durch Präsentismus sowie eine konsequente Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten und Arbeitsanforderungen auszeichnet. Grenzen zu setzen, ist hiernach kein Zeichen von Faulheit oder mangelndem Arbeitswillen.

Arbeitgeber-Zwickmühle: Quiet Quitting bekämpfen?

Was können Unternehmen tun, um Quiet Quitter wieder an Bord zu holen? Gegen Quiet Quitting gibt es insgesamt keine einfache Formel, aber eine Kombination von Faktoren, die einer Entstehung vorbeugen oder diese abmildern können: Wenn Mitarbeitende sich emotional an ihren Arbeitgeber gebunden fühlen und sich mit ihren Aufgaben identifizieren, leisten sie eher aus eigenem Antrieb Ungeahntes. Quiet Quitting kann also ein Hinweis sein, dass die Beziehung zwischen Personal und Unternehmen nicht mehr stimmt. Dass die Stelle eventuell nicht passt oder die Arbeitsumgebung, das Verhältnis zu den Kolleg*innen, der Workload etc. Hier müssen Arbeitgeber ansetzen, um eine tatsächliche Kündigung, samt Wechsel in ein anderes Unternehmen, das mehr Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Beschäftigten nimmt, abzuwenden.

Tipps für den Umgang mit Quiet Quitting

Prinzipiell sollten Arbeitgeber darauf bedacht sein, dass Arbeitnehmende ihre Jobs gerne machen und Spaß daran haben. Das schützt nicht nur vor Fluktuation, sondern motiviert diese vielleicht auch mal zu der einen oder anderen Extra-Meile. Worauf es dabei ankommt?

Kommunizieren Sie klare Erwartungen

Das beginnt bei der Stellenbeschreibung: Welche Anforderungen an eine Rolle gibt es? Was brauchen Sie konkret von dem/der Mitarbeitenden? Was sollte in der jeweiligen Position erreicht werden? Welche Aufgaben soll der- oder diejenige genau übernehmen und welche werden tatsächlich übernommen? Wenn sich beide Seiten vom ersten Tag an darüber im Klaren sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Abweichung zwischen den Erwartungen und der Wirklichkeit. Das minimiert wiederum das Risiko, aus Unzufriedenheit in die Quiet-Quitting-Spirale zu geraten.

Nehmen Sie den Druck raus

Vermeiden Sie grundsätzlich jeglichen Druck und Zwang, auch, wenn der erste Impuls wäre, Quiet Quitter zu ermahnen. Wenn sich Mitarbeitende entscheiden, keine („unbezahlte“) Zeit mehr investieren zu wollen, ist der Versuch wahrscheinlich kontraproduktiv. Dies kann das Quiet Quitting nur noch verstärken, d. h. zu Rückzug, sinkendem Engagement und zur inneren Kündigung führen. Im schlimmsten Fall werden sich diese woanders umsehen. Ein anderer Impuls wäre sicherlich, die Betroffenen einfach ziehen zu lassen. Doch das sollten Sie genau abwägen: Arbeits- und Fachkräfte sind heute nicht nur schwer zu bekommen, sondern Recruiting, Einarbeitung & Co. auch zeit- und kostenaufwändig. Akzeptanz und Respekt sind hier ein Schlüssel, um Beschäftigte bei der Stange zu halten. Voraussetzung ist natürlich, dass diese noch die in ihrer Stellenbeschreibung festgelegten Aufgaben erfüllen. Wenn Sie deren Grenzen respektieren, wird sich das eher positiv auf deren Leistungsbereitschaft und -fähigkeit innerhalb individueller Grenzen auswirken als umgekehrt.

Bieten Sie regelmäßig Austausch und Feedback an

Eine Führungskraft gibt ihrem Mitarbeitenden Feedback
Foto: Feedback kommt bei Mitarbeitenden gut an, @Adobe Stock/Suteren Studio

Offene Gespräche im Rahmen regelmäßiger Feedback-Meetings sind geeignet, um mehr über die Motivation und Verfassung Ihrer Mitarbeitenden herauszufinden. Hierüber erlangen sie potenziell Klarheit, warum diese eventuell nicht bereit sind, Überstunden zu machen oder zusätzliche Projekte zu übernehmen. Liegt es am Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance oder einem insgesamt gesünderen Lebensstil? Liegt es an generell mangelnder Anerkennung? Oder fühlen sich diese für zusätzliche Anstrengungen nicht ausreichend gewürdigt, sofern diese (freiwillig) geschultert werden? Ein psychologisch nicht zu unterschätzender Aspekt ist hier die Unternehmenskultur: Würden Sie sich über die Maße einbringen, wenn Sie sich unsicher und nicht ermutigt fühlen, Ihre ehrliche Meinung zu äußern? Wohl kaum. Bestärken Sie demnach Ihre Beschäftigten, fordern Sie Feedback aktiv ein. Eine lebendige Feedbackkultur kann zudem den Kolleg*innenzusammenhalt stärken und das Arbeitsklima verbessern. Bieten Sie für beide Seiten funktionierende Kompromisse an, um die Bedürfnisse Ihres Personals bestmöglich zu erfüllen.

Zeigen Sie mehr Wertschätzung

Wer mehr will als Dienst nach Vorschrift, muss mehr als Selbstverständliches bieten: Benefits sind etwa eine gute Möglichkeit, Beschäftigte zu motivieren, mehr zu leisten. Auch eine sogenannte Pausenkultur im Arbeitsalltag kann ein Ansatz sein. Denn eine Mittagspause reicht in Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung und komplexer Tätigkeiten oft längst nicht aus, um sich bei einem Achtstundentag am Stück zu konzentrieren. Gewähren Sie, sofern möglich, flexiblere Pausenregelungen. Bieten Sie insgesamt mehr Ausgleich und Erholung. Denn Entspannung und Stressreduktion sind aktuelle Themen für jeden Beschäftigten. Viele Unternehmen bieten daher Sportkurse, Massagen oder Ähnliches an, um ihnen entgegenzukommen.

Wagen Sie mehr Flexibilität

Mehr Flexibilität, etwa im Rahmen der erwähnten X-Tage-Woche, kann ebenso dazu beitragen, dass Mitarbeitende ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Lassen Sie Ihnen die Freiheit, ihren Arbeitsalltag nach individuellen Bedürfnissen zu gestalten: Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Arbeit gern erledigen und zufriedener sind. Wenn Sie als Arbeitgeber ihren Angestellten überdies Remote Work oder Hybrides Arbeiten im Rahmen flexibler Arbeitszeiten anbieten können, profitieren sie in der Regel von einer Leistungssteigerung und einem deutlich höheren Output.

Stärken Sie Ihr Team

Und fördern Sie den Teamgeist: Ein eingespieltes Team kennt die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen. Das fördert eine passgenauere Aufgabenverteilung – eventuell ohne oder mit weniger Überstunden. Eine positive Employee Experience und eine gelungene Teamentwicklung bilden die dafür notwendige Basis. Sie sorgen dafür, dass sich Mitarbeitende wohl fühlen und bereit sind, mehr für ihr Unternehmen zu tun als zwingend notwendig. Wenn dies der Fall ist, sollten Sie derlei Bemühungen nicht nur wahrnehmen, sondern auch gebührend Anerkennung dafür äußern.

Beim Teammeeting im Büro klatschen sich zwei Beschäftigte in die Hände
Foto: Ein starker Kollegenzusammenhalt ist Gold wert, @Adobe Stock/Jacob Lund

Dabei gilt: Konzentrieren Sie sich nicht zu sehr darauf, Ihr Lob für diejenigen vorzuhalten, die Mehrarbeit leisten. Versuchen Sie Ihre Wertschätzung auch auf die Arbeit zu konzentrieren, die innerhalb der normalen Arbeitszeiten geleistet wird. Würdigen Sie die Arbeit, die jemand leistet, während die Person eine gesunde Work-Life-Balance aufrechterhält. Loben Sie, wie effizient die Person ihr Zeitmanagement und ihre Arbeit gestaltet, um sich nicht zu überarbeiten und trotzdem hervorragende Arbeit zu leisten. Machen Sie diese Leistung zum Vorbild für andere. Nach dem Motto: Was kann das Team von so einer Arbeitsweise lernen, um mehr Effizienz zu erreichen?

Seien Sie Vorbild

Dabei ist es ratsam, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wie können Sie Ihren Mitarbeitenden z. B. proaktiv den Weg zu einer gesünderen Work-Life-Balance aufzeigen? Zeigen Sie ihnen, dass es in Ordnung ist, keine Überstunden zu machen, E-Mails nicht am Wochenende zu checken und nach Feierabend nicht mehr auf Nachrichten zu antworten. Und handeln Sie selbst entsprechend: Verlassen Sie das Büro zu angemessenen Zeiten. Machen Sie deutlich, dass Sie dann nicht mehr im Dienst sind. Brüsten Sie sich nicht damit, dass Sie abends oder am Wochenende noch ein paar Dinge erledigen müssen – selbst, wenn dies als Führungskraft oder CEO unvermeidlich sein sollte. Setzen Sie etwa Ihren Status in Kommunikations-Tools auf „offline“. Planen Sie den Versand der E-Mails, die Sie schreiben, für den nächsten Morgen oder eine bestimmte Uhrzeit ein, anstatt sie spätabends zu versenden. Das nimmt den Druck raus.

Bieten Sie Perspektiven an

Beschäftigte wechseln den Job, wenn er ihnen nicht gefällt oder sie nicht weiterbringt. Bieten Sie also einen Sinn und einen Anlass, engagiert zu bleiben. Und zeigen Sie ihnen den Nutzen auf, den sie mit ihrer Arbeit erfüllen. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden zudem die Kraft und Freiräume, die eigenen (und Ihre) Karriereziele zu erreichen und sich weiterzuentwickeln. Hierbei ist es zentral, gemeinsam einen persönlichen Entwicklungsplan aufstellen. Formulieren Sie gemeinsam Ziele für den Erwerb neuer Kompetenzen – Hard Skills wie Soft Skills – und investieren Sie in die Fort- und Weiterbildung Ihres Personals. Die fällt gerne einmal hinten runter. Doch eben dadurch verbinden Ihre Mitarbeitenden mehr Sinn und Erfüllung mit der Arbeit und erlangen neue Perspektiven.

Überdenken Sie Ihre Personalplanung

Wie wir gesehen haben, ist Quiet Quitting nicht gleichzusetzen mit Faulheit. Die Chancen stehen gut, dass Quiet Quitter in Wirklichkeit noch die Arbeit leisten, für die sie angestellt wurden. Bisweilen steht dem Wollen auch ein Nicht-Können gegenüber. Mit anderen Worten, prüfen Sie regelmäßig Ihre Personalplanung: Ist ein Ein-Personen-Job möglicherweise ein Zwei-Personen-Job? Liegt bei den Betroffenen schlicht eine Überlastung vor? Können Sie einfach nicht mehr leisten? Müssen die Arbeitsanforderungen neu bewertet werden? Wenn Sie als Arbeitgeber mehr Arbeitsleistung verlangen, sollten Sie bei Bedarf Neueinstellungen in Erwägung ziehen oder prüfen, ob es jemand anderen im Team gibt, um die Arbeitslast zu verteilen. Auch hier gilt, Mehrarbeit zu erzwingen, belastet nur die Beziehung zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeber sowie die Mitarbeiterbindung. Dadurch erhöht sich wiederum die Wahrscheinlichkeit einer sinkenden Produktivität und tatsächlichen Kündigung.

Fazit: Quiet Quitting ist bisher in Deutschland kein ernstzunehmender Trend, aber eine latente Gefahr, die jeden Arbeitnehmenden unabhängig vom Alter jederzeit treffen kann. Eine Tatsache, die wiederum jeden Arbeitgeber dazu anregen sollte, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Und auch wenn einige Beschäftigte weiterhin ihre Ziele nur im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten zu erreichen versuchen werden, bieten die genannten Tipps gute Ansätze, um einer Negativentwicklung entgegenzusteuern.


@Adobe Stock/Seventyfour