18.11.2013 - Redaktion Faktor A -9 MinutenRichtig führen
Ohne Soft Skills gehen Manager mit Führungsverantwortung heute unter. Doch welche sind die wichtigsten sozialen Kompetenzen – und wie lernt man sie?
Am Schlimmsten ist es, wenn er jemandem kündigen muss, wenn für diesen Angestellten eine Welt zusammenbricht und er das in seinen Augen ablesen kann. Gero Decker kann dann drei Nächte lang nicht schlafen. „Wie schaffe ich es, dass er nicht vollständig die Hoffnung in seine berufliche Zukunft verliert?“, fragt sich der Unternehmer.
Was der Informatiker aus seinem Berufsalltag erzählt, könnte man als Königsdisziplin im Bereich Soft Skills bezeichnen. Der 31-Jährige leitet das Berliner Software-Unternehmen Signavio, seine Firma expandiert, doch ohne das richtige Maß an Soft Skills, weiß Decker, wäre er heute nicht so erfolgreich. Schon während des Studiums wurde ihm das klar. Am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam lernte er in Seminaren, wie wichtig es ist, im Geschäftsleben auf sein Gegenüber einzugehen. „Aber auf Kündigungen kann kein noch so gutes Seminar vorbereiten“, sagt Decker, „das erfordert ein Gespür für Menschen, das sich manchmal erst im Laufe des Arbeitslebens entwickelt. Oder einfach nie.“
Was sind Soft Skills?
Soft Skills, die weichen Fähigkeiten oder sozialen Kompetenzen, sind im Berufsleben gefragter denn je. Dahinter verbirgt sich das Potenzial einer Person, mit Menschen und deren Handlungsweisen, aber auch gut mit sich selbst umzugehen. In Personalgesprächen können Bewerber heute nur bestehen, wenn sie über ihre eigenen emotionalen Fähigkeiten nachdenken und sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind. Heute arbeiten Unternehmen in flacheren Hierarchien und teamorientierter zusammen. Ideen von Mitarbeitern aus allen Ebenen des Unternehmens liefern wichtige Impulse, die eine Firma auf den globalen Märkten weit voranbringen können. Strenge Hierarchien gelten als überholt. Studien belegen, dass der Erfolg im Arbeitsleben zu 50 Prozent auf Fachkompetenz basiert – die andere Hälfte jedoch auf Soft Skills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit. Doch welche Charaktereigenschaften braucht man konkret, um möglichst gut in einem Team zusammenzuarbeiten?
„Der richtige Einsatz von Soft Skills erfordert viel Empathie“, erklärt der Psychologe Jürgen Hesse. In seinem Karriereberatungsbüro bietet er Seminare für Bewerber und Arbeitnehmer aller Hierarchiestufen an. Er hat mit einem Kollegen über hundert Karriereratgeber geschrieben. „Wenn ich mich in andere hineinversetzen kann, reagiere ich besser auf Widerstände im Team, kann bessere Mannschaften zusammenstellen, bin offener für neue Ideen und Impulse.“ Doch zur Empathiefähigkeit gehöre es zunächst, sich selbst zu verstehen. In der Pubertät geschehe die erste größere Auseinandersetzung und Abgrenzung von Eltern oder Freunden. „Wer bin ich? Wie reagiert meine Umwelt auf mich? Was bewirke ich mit meinem Verhalten? Mit diesen Fragen setzen wir uns von frühester Jugend an auseinander. Sie schulen unser Sozialverhalten“, sagt der Karrierecoach. Zum Teil seien mangelnde Soft Skills auch Ursache einer mangelhaften Erziehung, wenn sie weniger auf Austausch und Korrektur basiert, als auf Ignoranz. „Es gibt auch autistische Charaktere im Berufsleben, Personen, die zwar begabt sind, im Unternehmen ihren Platz gefunden haben, sich aber nicht in andere hineinversetzen können“, erklärt Hesse. „Diese Personen werden es nur in sehr speziellen Branchen weit bringen – wenn etwa ein Hedgefonds um einen verschrobenen Zahlen-Nerd buhlt.“
Was zählt mehr – Fach- oder soziale Kompetenz?
Viele Hochschulen haben schon vor Jahren auf die wachsende Bedeutung von Soft Skills reagiert. Unter anderem am HPI stehen im Studienfach IT-Systems-Engineering Seminare und Vorlesungen zum Thema im Lehrplan. „Früher wurde die kommunikative Kompetenz von Informatikern gelegentlich in Zweifel gezogen“, sagt Institutssprecher Hans-Joachim Allgaier, „sie galten weder als rhetorisch stark noch besonders teamfähig. Manchmal wurde kritisiert, dass sie ihre Arbeit nicht genügend verständlich erklären und dokumentieren könnten.“ Das habe sich unter anderem durch die immer weiter gefächerten Einsatzgebiete von Informatikern geändert. Wie kann ich als Fachmann mit einem Kunden verständlich kommunizieren? Wie gehe ich auf seine individuellen Bedürfnisse ein? Wie arbeite ich bei der Softwareentwicklung permanent und eng mit ihm zusammen? Auf solche Fragen gehe man in der Ausbildung der Nachwuchsinformatiker von Anfang an ein. Neben Auftritten von Prominenten wie Joachim Gauck oder Günther Jauch, die am HPI schon über Erfolgsstrategien und Teamwork berichteten, bot das Institut auch schon Kolloquien zum Thema Business-Etikette, Motivation und Gedächtnistraining an. Es ging sogar schon um „Flirttechniken“ – um Erkenntnisse aus dem Privatleben auf die Erzeugung von Sympathie zwischen Geschäftspartnern zu übertragen.
Dennoch realisieren längst nicht alle potenziellen Arbeitnehmer die Wichtigkeit einer Fähigkeit, die sich in der Theorie kaum beibringen lässt. Ausgerechnet angehende Führungskräfte unterschätzen Soft Skills – und die aktuelle Nachfragesituation auf dem Arbeitsmarkt scheint sie darin zu bestärken: Denn laut einer Studie der Managementberatung Kienbaum Consultants International buhlen Unternehmen heute geradezu um die sogenannten „High Potentials“. Durch den wachsenden Fach- und Führungskräftemangel haben überdurchschnittlich qualifizierte Absolventen und Berufseinsteiger ausgezeichnete Karriereaussichten. Der steigende Bedarf an den Hochqualifizierten macht sich sowohl in Deutschland als auch in Österreich und der Schweiz bemerkbar: 74 Prozent der deutschen, 87 Prozent der österreichischen und 67 Prozent der schweizerischen Unternehmen planten 2013, im nächsten Jahr bis zu 15 High Potentials einzustellen. Besonders in den Fachrichtungen Forschung und Entwicklung und IT sowie in der Produktion fällt es Unternehmen derzeit schwer, Fachkräfte zu rekrutieren. Doch selbst die begehrten Hochqualifizierten scheitern in diesen „fetten Jahren“ an weit unterschätzten Hürden. Denn wenn ein deutscher High Potential versagt, liegt das laut Studie in 94 Prozent der Fälle an seiner Selbstüberschätzung und zu 89 Prozent an der mangelnden Fähigkeit zur Selbstkritik. Letztendlich reicht ein guter Abschluss allein also doch nicht aus, um Arbeitgeber von sich zu überzeugen. Die Persönlichkeit muss stimmen. Der Anwärter muss das ganze System des Unternehmens verstehen.
Doch je höher die Position, desto weniger kommt es auf Fachkompetenz an. Ein Manager muss nicht zwingend Ahnung von Architektur haben, wenn er den Bau eines Flughafens leitet; ein Politiker nicht unbedingt medizinisches Fachwissen mitbringen, um Gesundheitsminister zu werden. „Inszenieren und Beeindrucken ist wichtiger“, sagt Jürgen Hesse. Lehrreich sei es für diese Führungskräfte, wenn sie auch mal in den unteren Etagen mitarbeiteten. Wenn ein Hotelmanager etwa die Betten mache oder in der Küche helfen würde. „Wenn er sich dem verweigert, macht er heutzutage eine schlechte Figur.“
Soft Skills in der Praxis: Signavio
Der IT-Jungunternehmer Gero Decker hat einige Jahre gebraucht, um ein gutes psychologisches Gespür für sein Team zu entwickeln. Anfangs stellte er nur hoch qualifizierte Mitarbeiter ein: „Ich wollte nur die Besten, ein Team aus Rockstars, das die Firma schnell nach oben bringt“, erzählt Decker, „nur habe ich nicht damit gerechnet, dass sich dann niemand mehr für Jobs verantwortlich fühlt, die weniger attraktiv sind, aber im Alltagsgeschäft erledigt werden müssen. Jeder wollte immer nur kreativ sein.“ Decker suchte sich daraufhin Mitarbeiter mit verschiedenen Fähigkeiten zusammen, Charaktere, die sich möglichst gut ergänzen. Seitdem wächst sein Unternehmen von Jahr zu Jahr. Mittlerweile hat er Dependancen in den USA und Asien gegründet.
Das Thema Soft Skills ist in seinen Firmen ständig präsent. Manchmal stoßen auch seine Mitarbeiter an ihre Grenzen, etwa bei Geschäftsessen mit Kollegen aus verschiedenen Nationen. „Man schwärmt nicht vom bevorstehenden Weihnachtsfest, wenn hauptsächlich Muslime am Tisch sitzen“, sagt Decker, „das wird einem sehr negativ angerechnet.“ Es erfordere kulturelles Feingefühl, das man nicht bei jedem voraussetzen kann. Interkulturelle Kompetenz ist im heutigen Berufsleben eine der Schlüsselqualifikationen, die Bewerber mitbringen müssen. Arbeitgeber achten etwa besonders darauf, dass ein Jobanwärter mehrere Fremdsprachen beherrscht – obwohl diese größtenteils nicht einmal zum Einsatz kommen. „Sprachkompetenz ist nicht gefragt, weil die Welt internationaler wird“, erklärt Karrierecoach Hesse, „sondern weil jemand damit zeigt, wie weltoffen er ist. Er hat sich beim Schüleraustausch oder als Au-pair mit einem Land und einer Sprache auseinandergesetzt und zeigt damit, dass er sich in eine andere Kultur, in andere Menschen einfühlen kann“.
Viele Schwierigkeiten im Arbeitsalltag lassen sich für Gero Decker heute mit einfachem Menschenverstand lösen. Auch das Feingefühl für andere Nationalitäten wächst mit jedem neuen Geschäftstermin, genauso wie die Fähigkeit, auf die Lebenswelten und Bedürfnisse seiner Kollegen einzugehen. „Aber jemandem zu kündigen und ihm gleichzeitig die Zukunft nicht zu verbauen, ist immer noch eine der größten Herausforderungen“, sagt der Jungunternehmer. „Ein knallharter Rausschmiss kommt im Team nicht gut an – aber vor allem will ich mich selbst am nächsten Tag noch im Spiegel ansehen können.“