13.11.2019 - Antonia Kemper -5 MinutenRichtig führen
Unsere Arbeitswelt ist kompliziert, schnell, unsicher und unvorhersehbar geworden – VUKA eben. Das Akronym, das für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität steht, wabert seit einiger Zeit durch Führungskräfte-Meetings. Doch wie geht man mit notwendigen Veränderungen um? Ein Gespräch mit der Personalberaterin und Buchautorin Nicole Pathé über den Mut zur transparenten Kommunikation.
Faktor A: Nichts ist so beständig wie der Wandel. Trotzdem lösen Veränderungen in Unternehmen oft Unruhe oder sogar Ängste aus. Warum?
Nicole Pathé: Mitarbeiter erfahren häufig schon über den Flurfunk von größeren Veränderungen – und das meist Wochen oder Monate bevor das Management sie tatsächlich informiert. Gerüchte beginnen dann durch das Unternehmen zu wabern, Verunsicherung entsteht. Je länger diese Phase dauert, desto länger und intensiver beschäftigen sich die Angestellten mit der drohenden schwarzen Wolke statt mit ihren Aufgaben. Ohne Erklärungen fangen die verunsicherten Mitarbeiter irgendwann an, ihre Energie in Worst-Case-Szenarien zu stecken statt in ihre Arbeit.
Lässt sich die Entwicklung von Gerüchten überhaupt verhindern?
Vermutlich nicht. Wichtig ist jedoch, diese Phase der Vorahnung und Unklarheit so kurz wie möglich zu halten.
Und wie?
Durch Kommunikation. Manchmal genügt es bereits, wenn das obere Management die Gerüchte zumindest in Teilen bestätigt: „Ja, wir beschäftigen uns tatsächlich mit einem größeren Change-Projekt. Vermutlich wird es die und die Arbeitsbereiche betreffen.“ Vielleicht kann es auch sagen, aus welchen Gründen es sich mit dem Thema beschäftigt und wann die Mitarbeiter mehr erfahren werden. Ich erlebe immer wieder, dass die Geschäftsführer und Vorstände sich ausgerechnet in solchen Momenten zurückziehen – und das ist natürlich fatal. Denn wenn keine Kommunikation über geplante Veränderungen stattfindet, machen sich Unsicherheit und Angst breit.
Das gilt für Führungskräfte vermutlich genauso wie für Mitarbeiter, oder?
Absolut. Auch wenn Mitarbeiter sich nicht selten als alleinige Opfer solcher Prozesse sehen: Führungskräfte sind oft genauso betroffen – sie durchleben dieselben emotionalen Schleifen wie ihr Team, nur eben früher. Häufig sind es schlechte Umsatzzahlen, die einen Veränderungsprozess auslösen. In der Folge werden vielleicht Abläufe im Vertrieb umstrukturiert, Aufgaben neu verteilt und Posten abgeschafft. Das wirkt sich natürlich massiv auf jeden einzelnen Menschen aus – auf den Abteilungsleiter ebenso wie auf den Mitarbeiter.
Kann das auch bedeuten, dass das, was in der Woche zuvor noch als richtig galt, plötzlich falsch ist?
Die VUKA-Welt, in der wir heute leben und arbeiten, ist bestimmt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, was so viel wie Mehrdeutigkeit heißt. In dieser schnelllebigen Welt sind Entscheidungen nicht mehr in Stein gemeißelt. Stattdessen können sie schon nach drei, vier, fünf Monaten oder auch nur nach Wochen nicht mehr passend sein. Deswegen waren sie jedoch nicht falsch, als sie getroffen wurden, sondern zu dem Zeitpunkt tatsächlich richtig und stimmig. Nun müssen sie jedoch angepasst werden.
Haben ältere Mitarbeiter grundsätzlich mehr oder größere Ängste vor diesen Anpassungen als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen?
Nicht unbedingt. Sicher spielt die eigene Persönlichkeit dabei eine Rolle. Aber auch welche Erfahrung er oder sie bereits mit solchen Prozessen in der Vergangenheit gemacht hat. Und wie stark jemand von Veränderungen in der Zukunft betroffen sein wird.
Wie lässt sich eigentlich eine positive Haltung gegenüber solchen Prozessen einnehmen? Kann man das trainieren?
Ja, das kann man. Meiner Ansicht nach gehört es heute auch unbedingt zu den Aufgaben von Unternehmen, ihre Mitarbeiter darin zu bestärken, eine Veränderungskompetenz zu entwickeln. Denn wenn Veränderungsprozesse in Unternehmen scheitern, dann scheitern sie in den seltensten Fällen am „Was“.
Sondern?
An Emotionen. Die neue Organisation nach einer Restrukturierung verstehen die Menschen schnell. Aber sie gehen den Prozess häufig nicht mit. So sind dann zwei, die neuerdings eine Doppelspitze bilden sollen, nicht selten damit beschäftigt, ihr Revier abzugrenzen, statt sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren, und Mitarbeiter, die den neuen ganzheitlichen Beratungsansatz der Kunden nicht akzeptieren, machen alles wie zuvor – und die Unternehmensspitze wundert sich, warum die eigentlich klug erdachte Restrukturierung nicht den gewünschten Erfolg bringt.
Was läuft dann schief?
Ich halte es für ganz wichtig, in der Phase der Vorahnung und Gerüchte sämtliche Rituale, die sich in einem Unternehmen etabliert haben, aufrechtzuerhalten. Also beispielsweise die alle zwei Monate stattfindende Führungskräftekonferenz auch weiterhin abzuhalten, auch wenn die Geschäftsführung meint, noch nichts sagen zu können. Denn nach jedem abgesagten Meeting wird die Unsicherheit innerhalb der Belegschaft größer. Es ist immer besser, sich hinzustellen und zu sagen: „Diese Fragen können im Moment noch nicht beantwortet werden“ oder: „Die Entscheidungen müssen noch durch dieses oder jenes Gremium.“ Jedes Ausweichen von Kommunikation nimmt den Menschen die Chance, Veränderungen mitzugehen. Ebenso fatal ist es, zu lügen. Denn wenn die Mitarbeiter spüren, dass bewusst die Unwahrheit gesagt wird, verlieren sie das Vertrauen. Aber wie soll ein Veränderungsprozess gelingen, wenn ihnen beispielsweise vor einem Umzug gesagt wird, dass es keine Kündigungen geben wird – obwohl allen klar ist, dass es in der neuen Firmenzentrale weniger Arbeitsplätze geben wird als in der alten?
Klappt die Kommunikation in kleinen Unternehmen womöglich besser als in großen?
Nein. Entscheidend ist, ob die Unternehmensleitung die Kompetenz besitzt, die Mitarbeiter durch einen Change-Prozess zu steuern. Die Fehler, die dabei passieren können, sind ähnlich – egal, ob es sich um ein Start-up mit fünf Angestellten handelt oder um einen Konzern. Führen ist allerdings keine Einbahnstraße. Manchmal trifft ein leitender Angestellter oder Unternehmer auf Mitarbeiter, die die Tendenz haben, Dinge schlechtzureden und als Meinungsbildner ein Team nach unten zu ziehen. Dann wird es schwer; schließlich funktioniert ein Veränderungsprozess nur gemeinsam. Aber natürlich hat die entscheidende Rolle in diesem Prozess immer die Führungskraft, nicht der Mitarbeiter. Sie hat die Rolle der kompetenten Übersetzerin: Sie muss die Informationen aus der Geschäftsführung weitergeben. Und es ist ihre Aufgabe, in einem Gespräch herauszufinden, was die Gründe für die ablehnende Haltung des Mitarbeiters sind und was sie tun kann, um dem Mitarbeiter zu einer positiven Sichtweise zu verhelfen.
Und wenn das nicht gelingt?
Muss sie die Reißleine ziehen und sich trennen.
Lässt sich die Veränderungskompetenz der Mitarbeiter noch durch etwas anderes stärken außer durch eine transparente Kommunikation und fähige Führungskräfte?
Für ganz entscheidend halte ich es, die Erfahrungen aus vergangenen Change-Prozessen gemeinsam mit den Mitarbeitern auszuwerten: Was ist gut gelaufen, was nicht? Was war vielleicht sogar kontraproduktiv? Und was können wir beim nächsten Mal besser machen? Denn die nächste Veränderung wird kommen.