01.08.2018 - Nadine Osterhues -7 MinutenZukunft der Arbeit
Es kann Unternehmer schon mal überfordern, wenn die gesamte Firmenstruktur an den digitalen Wandel angepasst werden muss. Der Hamburger Digitalstratege Jens Bardel kennt die Ängste vieler KMU und hilft bei Transformationsprozessen in die virtuelle Welt – Schritt für Schritt.
Eine neue Webpage, ein besserer Firmenblog, mehr Produktfotos? Unternehmer wissen oft nicht, wo sie anfangen sollen, wenn sie ihre Digitalstrategie verbessern wollen. Vor lauter Möglichkeiten geht es ihnen wie Professor Hastig in der Sesamstraße: Erst doziert er über alles und nichts, dann wird er immer langsamer und schläft ein.
Davon dass die Digitalstrategie eines Unternehmens einschläft, kann Jens Bardel ein Lied singen. Der Hamburger Digitalexperte berät mittelständische Unternehmen dabei, sich online so gut aufzustellen, dass sie in den Suchmaschinen weit oben ranken, von Neukunden gefunden werden und Bestandskunden halten. Manchmal, sagt Bardel, gelingt es ihm, Unternehmer von einer Transformation der gesamten Firmenstruktur zu überzeugen. Das passiert allerdings selten, sagt der 33-Jährige. Sehr selten.
Bardel hat es mit vielen Unternehmern zu tun, denen bewusst ist, dass sie etwas verändern müssen. Sie machten ihm zufolge offline auch alles richtig. „Die meisten wissen, wie sie Kunden ansprechen müssen, kennen die Wettbewerber in ihrer Region und die Nachfrage nach Angeboten“, sagt Bardel, „aber sie wissen nicht, welche Shoppingkanäle ihnen gerade in Hongkong oder New York Kunden wegnehmen.“ Im Netz gäbe es keine Regionen, sagt der Experte.
Am Anfang steht die Analyse
Die fehlende Marktanalyse führe zu einer Kettenreaktion. Unternehmer würden so viel Geld in einen Webauftritt und Werbung investieren, optimieren die Suchmaschine, bauen Apps, bauen einen Shop auf und unterzeichnen nun Verträge mit Agenturen, die die Webpage pflegen sollen. „Doch die kontrollieren nicht, ob das eine gute Entscheidung war“, sagt Bardel, „Keiner weiß, wer die Seite besucht und ob mehr Verkäufe gemacht werden.“ Keiner prüfe, ob die Investition überhaupt wirtschaftlich war.
Zitat:„Nach einer Analyse sind Unternehmer einen Riesenschritt weiter.“
Wenn der Hamburger Berater Kunden besucht, stellt er ihnen immer drei Fragen: Welche Ziele hast du? Wie hilft dein digitaler Auftritt dir dabei, sie zu erfüllen? Was müssen Kunden tun, damit du mehr Geld verdienst? Danach geht es in die Tiefe: Muss der Bestellprozess deines Shops einfacher gestaltet sein? Bringt der Branchenbucheintrag über Google Places etwas? „Nach so einer Analyse sind Unternehmer meistens einen Riesenschritt weiter.“
Viele Start-ups seien wendiger in ihren Marketingstrategien als große Unternehmen, bei denen oft Unbeholfenheit herrsche. Bardel nennt das Beispiel eines kleinen Online-Reiseanbieters. „Das Unternehmen hat sich Studenten gebucht, die ununterbrochen über die Tourismus-Destination Bali berichten“, sagt er, „die User landen direkt über Keywords aus den Artikeln auf ihrer Seite.“ Mit kreativem, gutem Content rankten Unternehmen weit oben in den Suchmaschinen, sagt der Stratege. Der kleine Online-Reiseanbieter ziehe ohne großen Aufwand eine Menge Kunden auf seine Seite – was ihm einen Vorsprung vor der Konkurrenz verschafft. „Große Reisebüros machen oft Werbung, die keiner sieht“, sagt Bardel, „die freuen sich, wenn das Unternehmen im Wirtschaftsteil der FAZ erscheint – dabei interessiert es keinen, ob es da irgendwo erwähnt wird.“ Die Schwerfälligkeit der Großen käme den Kleinen zugute. „Wenn sechs Studenten es mit Content schaffen, etablierten Reiseanbietern Konkurrenz zu machen, schaffen das auch andere Branchen.“ KMU müssten vor allem kreativ denken, sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten und gezielt in ihre gut laufende Kanäle investieren.
In digitale Vertriebsformen investieren
Trotz des pragmatischen Ansatzes stößt der Stratege immer wieder an Grenzen. Unternehmer seien offen für Online-Strategien, aber sie tun sich schwer damit, umzudenken. „In der virtuellen Welt sind sie eben nicht sofort die Chefs, und das ist ungewohnt für sie“, sagt er. Diese innere Barriere stünde ihnen im Wege. Eitelkeiten seien jetzt unangebracht, denn wer jetzt nicht mit der Zeit gehe, dem drohen in Zukunft wirtschaftliche Verluste. Unternehmer müssten schneller umdenken, oft sogar einen Entwicklungsschritt überspringen. „Früher wurde Bier mit der Pferdekutsche verteilt, heute kommt es per Lkw über die Autobahn“, sagt Jens Bardel. Sein Bild soll die Behäbigkeit von KMU illustrieren. Unternehmer sollten ihm zufolge schneller und flexibler in die digitalen Vertriebsformen investieren. Kutscher hätten damals schließlich auch nicht an den Erfolg motorisierter Fahrzeuge geglaubt.