„Viele Unternehmen müssen radikal umdenken“

Die Corona-Pandemie zwingt Unternehmen dazu, über ihre Geschäftsmodelle nachzudenken. Wer die Digitalisierung dabei ignoriert, wird es schwer haben, sagt Digitalstratege Christoph Krause.


26.08.2020 - Nicole Benke -6 MinutenZukunft der Arbeit

Die Corona-Pandemie zwingt viele Unternehmen dazu, über die Zukunftsfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle nachzudenken. Wer das Thema Digitalisierung jetzt ignoriert, wird es schwer haben, sagt Digitalstratege Christoph Krause.

Faktor A: Die Corona-Krise bestimmt seit Monaten unseren Alltag und hat schon jetzt teils gravierende wirtschaftliche Folgen. Wird irgendwann alles wieder so sein, wie es einmal war?

Christoph Krause: Nein, ganz bestimmt nicht. Corona ist eine Tiefenkrise, die zu einem echten Systemwandel führen wird. Viele Unternehmen werden radikal umdenken müssen.

Welche Geschäftsmodelle sind besonders betroffen?

Besonders hart trifft es gerade die Branchen und Berufe, die von Menschenansammlungen leben. Wie Messebauer, Eventveranstalter, die Hotellerie und Gastronomie. Da steht das Geschäft quasi still. Und einfach abzuwarten, bis die Krise vorbei ist, wäre ein Fehler. Denn Corona hat uns an vielen Stellen zum Umdenken gezwungen: Online-Shopping, Arbeiten im Homeoffice, virtuelle Meetings statt teurer Geschäftsreisen – wir haben gemerkt, dass vieles wunderbar digital funktioniert und dabei jede Menge Zeit und Geld gespart werden kann. Diese neuen Strukturen werden auch nach Corona weiter Bestand haben.

Wer sind die Gewinner der Krise?

Alle, die schon heute erfolgreich digitale Tools nutzen. Die großen Tech-Player aus den USA und China profitieren natürlich ohnehin, aber auch bei uns in Deutschland gehören rund 15 Prozent der Unternehmen zu den digitalen Vordenkern, die jetzt kaum oder gar nicht von der Krise betroffen sind. Der Rest muss dringend in Bewegung kommen und den Schwung der Corona-Krise nutzen, um sich zu wandeln und zukunftsträchtig zu bleiben.

Statistik Homeoffice und Geschäftsreisen
© BMU

Wo fängt man an?

Es gibt derzeit zwei große Themen, die kein Unternehmen ignorieren sollte: zum einen den Bereich Nachhaltigkeit und regionale Wertschöpfungsketten, zum anderen die konsequente Digitalisierung. Corona hat die internationalen Handelsketten unterbrochen und deutlich gemacht, was Globalisierung eigentlich heißt. Die Krise hat Zeit für Reflexion geschafft und vieles aufgedeckt – man denke nur an die Fleischskandale. Das Thema Nachhaltigkeit boomt, Verbraucher und Verbraucherinnen besinnen sich wieder stark zurück auf regionale, auch europäische Wertschöpfungsketten. Damit muss man sich beschäftigen. Zukunftsforscher Matthias Horx nennt den Trend Glokalisierung – global denken, lokal handeln. Also: regionaler werden, wo es geht, Lieferketten überdenken und notfalls anpassen. Das zweite große Thema ist die radikale Digitalisierung. Jedes Unternehmen muss jetzt digital werden. Digitale Kommunikation, digitale Prozesse und digitale Geschäftsmodelle sind der Schlüssel zum Erfolg – gerade im Mittelstand und Handwerk.

Weil die Kunden plötzlich digitaler sind?

Auch, ja. In der Krise haben selbst die trainiert, digital zu kommunizieren und konsumieren, die das vorher nicht gemacht haben. Sie sind zu Digitalprofis geworden und werden es auch bleiben. Da ist eine völlig neue, anspruchsvolle Zielgruppe entstanden, die entsprechend bedient werden will.

Screenshot Statistik Online Handel Corona
© BMU

Warum fällt es vielen Unternehmen so schwer, erfolgreiche digitale Prozesse einzuführen?

Weil sie die digitalen Zusammenhänge und Schnittstellen nicht verstehen. Die besten Tools bringen nichts, wenn man sie nicht sinnvoll als Kette verbinden kann. Echte Digitalisierung heißt, dass es vom Kunden durch das gesamte Unternehmen und wieder zum Kunden zurück einen sauberen digitalen Prozess gibt. Und dafür fehlt in vielen Unternehmen schlichtweg das Wissen, es mangelt an Prozesskompetenz. Stattdessen beobachte ich oft blanken Aktionismus. Aber Insellösungen verbrennen nur Zeit und Geld. Wichtig ist, einen Gesamtüberblick zu haben, eine Art Roadmap für die Digitalisierung, die man abarbeitet. Es gibt genug Berater und Dienstleister, die dabei helfen. Und es lohnt sich. Digitalisierung klingt immer so, als sei das nur was für moderne Großkonzerne. Dabei können die Prozesse wirklich jedes Unternehmen bereichern. Ein ganz simples Beispiel ist die aktuelle Mehrwertsteuersenkung: Da wurden in vielen Firmen sicherlich nächtelang per Hand Excel-Listen geändert – dabei kann man das längst digital so lösen, dass ein Klick ausreicht.

Spielt auch das Thema künstliche Intelligenz eine Rolle?

Unbedingt! Wir brauchen künstliche Intelligenz, um der steigenden Komplexität zu begegnen. Das sind absolut wertvolle digitale Methoden und Werkzeuge, die massiv skalieren und große Aufgaben für uns übernehmen können. Man muss das als Mehrwert sehen, nicht als Ersatz für den Menschen. KI-Methoden können enorm hilfreich sein, auch für kleinere Unternehmen. Für einen Handwerksbetrieb arbeiten wir gerade an KI-Methoden, die bei der Aufbereitung und Sicherung von Wissen helfen: Ein KI-Baustein schneidet automatisiert Lehrfilme, die im Unternehmen gedreht werden, und übersetzt sie in unterschiedliche Sprachen. Ein weiterer Baustein fügt selbstständig Bildunterschriften in die Filme ein, Methode drei schafft ein semantisches Suchsystem, über das zum Beispiel Lehrlinge nach Fachbegriffen suchen können und sofort die richtigen Inhalte finden. Es geht also heute oftmals nicht mehr um Digitalisierung, sondern um sinnvolle und smarte Automatisierung.

Statistik Daten, Internet & Kommunikationsinfrastrukturen
© BMU

Wo bleibt der Mitarbeiter?

Die Mitarbeiter mitzunehmen und sie im Wandel zu begleiten, ist eine der größten Herausforderungen der Digitalisierung. Man muss Arbeitnehmern die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust nehmen. Ihnen erklären, was passiert, warum das sinnvoll ist und was das für sie bedeutet. Durch den Wandel der Tätigkeiten hängen wir einige Menschen ab, das ist leider so. Viele Standardprozesse sind ja bereits digitalisiert. Und ein Buchhalter wird eben nicht mehr zum Industrie-4.0.-Profi. Was machen wir also mit ihm? Das ist auch eine ethische Frage. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Menschen sinnstiftend beschäftigen können. Wir brauchen Gesellschafts- und Beschäftigungssysteme, die darauf einzahlen. Wir brauchen neue Werkzeuge, finanziert etwa durch eine Transaktionssteuer, um ganz neue Tätigkeitsformen zu entlohnen. Da müssen wir drüber nachdenken. Und zwar schnell.

Gehört auch Scheitern zum Prozess?

Ja. In der digitalen Welt braucht es agiles Denken und Arbeiten. Neues ausprobieren, aus Fehlern lernen – man muss hochgradig anpassungsfähig und schnell sein. In den USA ist das längst selbstverständlich, da müssen wir auch hin. Ich bin deshalb ein großer Fan von Lernsystemen wie den Fuckup-Nights, auf denen Gründer und andere Unternehmer von ihren Misserfolgen berichten und anderen die Möglichkeit geben, aus ihren Erfahrungen zu lernen.

Das Motto sollte also lauten: weniger zweifeln, mehr handeln?

Ja. Digitalisierung begreift man durchs Tun, nicht durchs Lesen von Fachliteratur. Unternehmer sollten sich fragen: Was bedeutet sie für mein Gewerk, für meine Branche? Wo kann ich ansetzen? Es können ganz kleine Dinge sein. Warum als Dachdecker nicht einfach mal einen Sensor an einer Dachrinne anbringen, der merkt, wenn diese verstopft ist? Die Daten werden automatisch auf einen Server übertragen und dann als WhatsApp-Nachricht aufs Handy des Handwerkers geschickt: „Kunde XY hat eine verstopfte Dachrinne.“ Wie praktisch ist das bitte? Da entstehen völlig neue Geschäftsmodelle. Der Dachdecker könnte künftig passgenaue Serviceverträge anbieten. Das nenne ich Service 4.0. Und das Beste: So ein System ist in kurzer Zeit gebaut. Vieles ist einfacher, als es auf den ersten Blick erscheint. Wir dürfen uns nicht mit den großen Playern aus den USA oder China messen, nicht auf die großen Lösungen schauen und uns von ihrem Erfolg abschrecken lassen. Das ist eine andere Liga. Unsere Chance in Deutschland liegt in der Kleinteiligkeit, darin können wir hier den Wandel entscheidend nach vorn treiben. Wer noch nicht dabei ist: Jetzt ist der Moment, zu starten.

Zur Person

Portrait Christoph Krause
© Manolito Röhr - Christoph Krause

Christoph Krause
Christoph Krause ist Digitalstratege, Designer und Entrepreneur. Für das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk Prozessdigitalisierung coacht er Unternehmen in Digitalfragen und begleitet sie auf dem Weg durch die erfolgreiche digitale Transformation. Das Kompetenzzentrum ist Teil der Förderinitiative „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“, die im Rahmen des Förderschwerpunkts „Mittelstand-Digital – Strategien zur digitalen Transformation der Unternehmensprozesse“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird.

 


Titelfoto: © Stefan Veres