Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter entscheidet
2009 beschloss Brunner seinen Betrieb auszubauen. Er nahm drei Millionen Euro in die Hand und investierte nicht nur in moderne Maschinen, sondern auch in eine behindertengerechte, barrierefreie Werkstatt. Dafür gab es staatliche Finanzspritzen, denn der Firmenchef machte klar: Ja, wir schaffen neue Arbeitsplätze. Ja, wir werden vor allem Menschen mit Behinderung einstellen. „Entscheidend ist die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters“, sagt Brunner, „nicht seine Behinderung. Punkt.“
Ein klarer Satz, mit dem Brunner in bester Gesellschaft ist: Mehr als 80 Prozent der Firmenchefs stellen keine Leistungsunterschiede zwischen den Mitarbeitern mit und ohne Behinderung fest, besagt das aktuelle Inklusionsbarometer der Aktion Mensch. Inklusion bedeutet dabei: Alle Arbeitnehmer – ob mit oder ohne Behinderung – arbeiten nicht nur nebeneinander, sondern miteinander.
„Inklusion“ ist für die meisten Unternehmer ein eher ungeläufiger Begriff. Gemeint ist ein Verständnis von Normalität, welches die Verschiedenheit der Menschen anerkennt und die daraus resultierende Vielfalt wertschätzt. Daraus leitet sich eine gesellschaftspolitische Aufgabe ab: Statt unerfüllbare Normen vorzugeben gilt es Strukturen zu schaffen, in denen alle Menschen wertvolle Leistungen erbringen können.
Das gilt besonders im Job. „Arbeitgeber sehen häufig die möglichen Schwächen von Menschen mit Behinderung“, sagt Bert Rürup, der das Inklusionsbarometer vorstellte. „Dabei sind sie oft besonders motiviert und leistungsfähig, weil ihre Behinderung oft viel Organisation im Alltag erfordert.“
Positives Image durch Inklusion
Vor allem die Personalchefs größerer Unternehmen haben das inzwischen erkannt und suchen gezielt nach Leuten mit Handicap. So profitieren qualifizierte Menschen mit Behinderung vom Fachkräftebedarf und der wachsenden Aufgeschlossenheit dieser Betriebe beim Thema Inklusion. „Die Zahl Beschäftigter mit Behinderung steigt mit der Unternehmensgröße progressiv an“, hat Rürup festgestellt. Mittelständische Unternehmer haben nun die Chance nachzuziehen.
Sie profitieren nicht nur von betriebswirtschaftlichen Vorteilen. Die Aufgeschlossenheit bei der Personalpolitik färbt auch auf das öffentliche Bild des Unternehmens ab. Wer sich den vorurteilsfreien Umgang mit Menschen mit Behinderung zutraut, präsentiert sich als offen und engagiert – eine Variante von Corporate Social Responsibility.
Das klingt attraktiv, muss sich aber gegen Vorbehalte durchsetzen. Mancher Unternehmer befürchtet, dass sein Betrieb behindertengerecht umgebaut werden muss, dass Menschen mit Behinderung öfter krank und quasi unkündbar sind.
„Diese Ängste sind unbegründet“, sagt Hubert Hüppe. Er war von 2009 bis 2013 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und besuchte regelmäßig Unternehmen, die Mitarbeiter mit Handicap eingestellt haben.
Komplett umgebaute Betriebe sah Hüppe dabei kaum. „Natürlich kommt es vor, dass der Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung entsprechend eingerichtet und mit technischen Hilfen ausgestattet wird“, sagt der Politiker. Dafür gibt es aber finanzielle und logistische Hilfen, zum Beispiel von der Bundesagentur für Arbeit (vgl. „Dieser Mann nimmt jede Hürde“). Davon profitieren häufig auch die Mitarbeiter ohne Behinderung.
Zitat:„Menschen mit Behinderung sind oft besonders motiviert und leistungsfähig.“
Bert Rürup, Leiter Inklusionsbarometer
Dass Arbeitnehmer mit Behinderung häufiger fehlen würden, hörte Hüppe vor Ort ebenfalls selten. „Im Gegenteil: Sehr oft berichten Arbeitgeber, dass ihre Mitarbeiter mit Handicap besonders engagiert sind und sie ihre Leistungsfähigkeit beweisen wollen.“ Und was ist mit der Unkündbarkeit? „Davon kann wahrlich keine Rede sein“, sagt Hüppe.
Der besondere Kündigungsschutz soll zum Beispiel verhindern, dass Menschen ihren Job verlieren, nur weil sie nach einem Unfall oder als Folge einer Krankheit nicht mehr so können wie früher. Das Integrationsamt sucht in diesen Fällen zusammen mit dem Arbeitgeber nach Lösungen, wie der Arbeitsplatz für diese „leistungsgewandelten“ Mitarbeiter erhalten werden kann.
Mitarbeiter mit und ohne Behinderung – selbstverständlich
Bei der Flughafen München GmbH findet der Arbeitgeber diese Lösungen selbst. Das Unternehmen hat bewusst Aufgaben für seine leistungsgewandelten Mitarbeiter geschaffen. Idealerweise übernehmen diese Mitarbeiter andere, „leistungsadäquate“ Aufgaben innerhalb ihres vertrauten Fachbereichs.
Wenn das nicht möglich ist, werden sie im Bereich „Interne Dienstleistungen“ eingesetzt. Ein Beispiel: Die Getränke- oder Snackautomaten am Flughafen werden nun nicht mehr von externen Dienstleistern befüllt, sondern von den eigenen Mitarbeitern. Die übernehmen auch Kurier- und Botendienste, Qualitätsmessungen und Wartungsarbeiten.
Gerd Auchter etwa leitete früher ein elfköpfiges Team in der Bauabteilung. Schon damals war er körperlich eingeschränkt: Sein linker Arm ist nach einem Motorradunfall bis zur Schulter gelähmt. „Auf meinem Behinderten-Status habe ich mich nie ausgeruht“, sagt Auchter. „Man muss sich durchkämpfen wie jeder andere auch.“ Dann zwangen ihn neue gesundheitliche Probleme dazu, kürzerzutreten. Heute kümmert sich der 51-Jährige als Bautechniker um Instandhaltungsarbeiten am Flughafen-Campus.
Von den 3.900 Mitarbeitern der Flughafen München GmbH haben mehr als 470 eine Behinderung, das ist fast jeder achte. So wird am Flughafen in aller Selbstverständlichkeit vorgelebt, woran Unternehmer andernorts sich gerade erst gewöhnen: an das selbstverständliche Zusammenarbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung, an Inklusion.